Nicht nur zur Weihnachtszeit

Ein bisschen verspätet bin ich auf diesen Aufsatz von Jürgen Dollase bei Eat Drink Think gestoßen. Anläßlich der Weihnachtsangebote von Discountern macht er sich Gedanken über die gestiegene Qualität bei den Billigheimern und stellt die neue Baukastenküche vor. Diese bewältigt durchaus anspruchsvollere Gerichte mit frischen und konservierten Komponenten für ein solides Gesamtergebnis.

Viele Kritik an den Discountern ist heute eine Dinosaurier-Kritik. Sie hat oft ein paar verfestigte Grundmuster, kennt aber die aktuelle Lage nicht. Vor allem aber unterschätzt sie die Macht und auch konzeptionelle Kraft, die Konzerne mit Milliardenumsätzen entfalten können. Um es auf den Punkt zu bringen: Es könnte gut sein, dass die Bewahrer des kulinarisch Wahren, Guten und Schönen ganz einfach und in Windeseile von hinten überholt werden und die alten Argumente vom öden Handel mit schlechten Produkten in einem haarsträubenden Preiskampf einfach nicht mehr so richtig greifen wollen.

Den Titel habe ich mir bei Böll entliehen. Dollase stellt ihn in seinem Text als Frage: Werden die Discounter auch außerhalb der Feiertage so viel kulinarischen Mut und Anspruch beweisen? Das dürfen wir 2018 dann wohl beobachten. Ich bin zumindest gespannt.

Bemerkenswert ist der Blogartikel auf jeden Fall auch, weil hinter Eat Drink Think unter anderem auch der Name Jürgen Bos steht. Einer der wichtigsten Feinkosthändler Deutschlands. Kaum ein anderer Name steht in Deutschland so für Produktqualität und Spitzenküche. Es scheint ein echter Kulturwandel im Gange zu sein.

In dem Kontext sicher spannend ist die Geschichte des Stockholmer Pop-Up-Restaurants mit dem Namen Dill. Das war dank Meisterkoch Michael Wignall ein echter Szenehit und die komplette Aktionszeit völlig ausgebucht. Es gab edle 9-Gänge-Menüs und kontemporäre Gourmetküche. Außerdem, das wurde erst gegen Ende der Aktion bekannt, war es eine Werbeaktion von Lidl. Sämtliche Zutaten von Dill kamen aus dem Discounter mit den gleichen Buchstaben in anderer Reihenfolge. Es ist eben doch nicht alles so leicht und gutes Handwerk scheint auch mittlere Produktqualitäten veredeln zu können.

(Bild: CC BY-SA 2.0 Jim Champion)

 

Hauptkampftage

„Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage“ lautete eine Kampagne der Evangelischen Kirche zur Jahrtausendwende. Beim Thema Sonntagschutz sind sich Gewerkschaften und Kirchen traditionell einig: Hier soll nicht gearbeitet werden. Ein Tag die Woche soll für Freizeit und Familie, Entspannung und Erholung reserviert sein. In der Gastronomie kann man über solche Initiativen nur müde Lächeln. Dort heißen Sonn- und Feiertage „Hauptkampftage“. Denn wenn die Mehrheit sich erholt, muss eine Minderheit für sie kellnern und kochen – und das nicht selten für mäßige Bezahlung. Wie die AHGZ jetzt berichtet, ist dieser Anteil am wachsen:

So arbeiteten im Jahr 2016 immerhin 15 Prozent der Erwerbstätigen hierzulande regelmäßig an Sonn- oder Feiertagen. Und dieser Anteil sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen: 1996 hatten nur 11 Prozent der erwerbstätigen regelmäßig an Sonn- und Feiertagen gearbeitet.

Die gesetzlichen Regelungen rund um die Arbeit am Sonntag sind relativ kompliziert. Da die Gastronomie von sehr kleinen Betriebsgrößen dominiert wird, in der Betriebsräte und andere Kontrollinstanzen selten sind, muss man wohl davon ausgehen, dass solche Regeln öfter gebrochen als eingehalten werden. Wo kein Kläger, da kein Richter. Das muss nicht mal mit dem gemeinen Chef zu tun haben. Bei vielen Unternehmen ist die Personaldecke so dünn, dass es grade der Chef ist, der jeden Sonntag hinter der Theke steht. Er hat keinen Vorgesetzten, demgegenüber er sein Recht einfordern könnte und gleichzeitig kein Personal, dass ihn regelgemäß vertreten kann. Eine Außnahme ist häufig der Sternebereich. Der schafft an Werktagen so viel Umsatz, dass viele Restaurants mit Sternchen ihren Ruhetag tatsächlich auf dem Sonntag liegen haben. Das ist doch mal ein Ansporn, an der Qualität zu schrauben.

(Bild: EKD)