Restaurants werden zu laut eingerichtet

Durch die amerikanische Blogosphäre geistert grade ein spannender Atlantic-Artikel. Kate Wagner beschreibt da drin, was sie alles hören kann, während sie in einem ruhigen Coffee Shop sitzt. Klackern einer Tastatur, Geplauder der Angestellten, das regelmäßige Mahlen einer Espressomaschine. Alles für sich genommen nicht viel, aber gemeinsam kommt das in dem Café auf eine Lautstärke von 73 Dezibel. Das sei zwar nicht gefährlich, räumt Wagner direkt ein, als sei „nicht gefährlich“ eine akzeptable Kategorie für einen Restaurantbesuch, doch es ist immer noch so laut, wie der Verkehr auf einer Landstraße oder ein Weckerklingeln. Beides keine angenehme Kulisse für ein entspanntes Mahl. Doch warum ist die Gastronomie so laut? Wagner hat eine simple Antwort: Wegen der Architektur:

Restaurants are so loud because architects don’t design them to be quiet. Much of this shift in design boils down to changing conceptions of what makes a space seem upscale or luxurious, as well as evolving trends in food service. Right now, high-end surfaces connote luxury, such as the slate and wood of restaurants including The Osprey in Brooklyn or Atomix in Manhattan.

Glatte Oberflächen, minimalistische Einrichtigung und kalte Materialien wie Marmor und Metal sind in. Teppiche und abgehängte Decken sind out. Was dem Auge gefällt, schadet aber den Ohren und nimmt einem Restaurantbesuch viel von der gewünschten Intimität. Ich hatte vorher nie bewusst darüber nachgedacht, doch seit ich den Text gelesen habe, merke ich es dauern. Je schicker und moderner das Restaurant ist, umso lauter muss ich sprechen und umso stärker höre ich unfreiwillig die Gespräche am Nebentisch mit. Das mag manchmal ganz interessant sein, ist oft aber einfach störend. Nie vergessen werde ich einen Besuch bei Carmelo Greco, bei dem ich die ganze, ansonsten wunderbare Zeit, heißen Gossip aus dem CDU-Bundesvorstand vom Nachbartisch serviert bekommen habe.

Die Rettung scheint mal wieder das klassische, französische Restaurant zu sein, schreibt Wagner:

Until the mid-1970s, fine dining was associated with ornate, plush fussiness, not stark minimalism. In her book Smart Casual: The Transformation of Gourmet Restaurant Style in America, the design historian Alison Pearlman attributes this choice to the influence of top-rated French restaurants such as Manhattan’s Le Pavillon. Pearlman writes of the decor: “Abundant flower displays, chandeliers and/or sconces, velvet curtains and/or damask wall treatments, tablecloths, and formally structured place settings of fine china and crystal were still typical.” Those choices produced a different acoustic environment: “Sound levels were low enough to magnify not only the tink-tink of glasses and silver but also the manners faux pas.”

Natürlich kommt Wagner in ihrem Text auch auf die Mode der offenen Küchen zu sprechen und serviert am Ende eine bittere Wahrheit: Lautere Restaurants sind profitabler als leise. Das erklärt dann wohl auch ein Erlebnis, welches Julia Belluz bei Vox einst geschildert hatte:

On the way out, I tried to mention the tough acoustics to someone at the restaurant’s front desk. I don’t think he heard me.

Der Zagat hat in seiner jüngsten Studie allerdings auch rausgefunden, dass Lärm für 24 Prozent der Restaurantbesucher das nervigste sei. Schlechter Service liegt mit 23 Prozent dahinter und hohe Preise stören nur noch 12 Prozent. Vielleicht wird es also bald wieder leiser in der gehobenen Gastronomie. Besonders dem Service-Personal möchte man es wünschen, denn 70 Dezibel reichen leider völlig aus, um auf Dauer gesundheitlich problematisch zu sein.

(Foto: kyle smith on Unsplash)

Durch die Kantine zurück zur Kommune

Die taz hat ein schönes Interview mit Patrick Wodni. Der hat früher unter anderem im Avantgarde-Tempel Nobelhart & Schmutzig gekocht. Irgendwann war ihm der Gourmet-Betrieb aber wohl nicht erfüllend genug, und heute kocht er in der Kantine eines anthroposophischen Krankenhauses. Dabei sagt er einige kluge Dinge und fordert geliebte Klischees („eine dicke, rauchende alte Frau klatscht undefinierbaren Brei auf ein Tablett“) heraus.

Das Interesse an guter Ernährung und Essen ist so groß wie noch nie zuvor. Gleichzeitig sind so wenig Menschen wie nie zuvor dazu bereit, das selbst zu machen. Kantinenessen macht einen immer größeren Teil dessen aus, was die meisten täglich essen.

Vor einigen Tagen hatte Gabor Steingart in seinem Podcast den Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup interviewt. Rürup gilt als einer der Vordenker hinter Gerhard Schröders Agenda 2010. Im Gespräch versucht er zu rechtfertigen, warum Hartz 4 heute nicht mehr richtig, aber damals nicht falsch gewesen sei. Dabei erwähnt er, dass der Zeitgeist Ende der 90er viel mehr Wert auf Individualismus gelegt habe. Das hat mich überrascht, weil meiner Wahrnehmung nach der Siegeszug des neoliberalen Hyper-Individualismus ungebrochen schien. Aber vermutlich hat Rürup recht, und die Menschen denken heute wieder stärker gemeinschaftlich, in Kollektiven. Man sieht das in den USA, dem Heimatland individueller Freiheit, wo heute ein chauvinistischer Nationalismus à la Trump gegen Bernie Sanders neuen Sozialismus kämpft, der im europäischen Maßstab eher eine neue Sozialdemokratie ist.

So gesehen ist es nur logisch, dass kluge Köpfe zurück in die Kantinen gehen. Wodni hat die Qualität seines Betriebes deutlich gesteigert, ohne die Kosten zu erhöhen. Dabei scheint er zwei Strategien verfolgt zu haben: A) Mehr regionale Lieferanten und B) weniger Fleisch. Gerade letzteres eigentlich ein No Brainer in einem Krankenhaus. Seine Erfahrungen machen Mut, mehr Kantinen umzukrempeln:

Die Umstellung durfte nicht mehr kosten, ich hatte nur 4,74 Euro pro Patient und Tag. Wenn man da mit guten Zutaten kochen will, bedeutet das: weniger Fleisch. Klar gab es Widerstand gegen das ganze „Hasenfutter“. Aber dann zeigte sich, viele Patienten kannten die Gerichte einfach nicht. Ich hatte am Anfang die Originaltitel auf den Speiseplan geschrieben und die Gerichte mit der Zeit immer mehr eingedeutscht. Das hat viele Schwellenängste beseitigt. Und wenn ich erklärt habe, wir wollen Fleisch in guter Qualität anbieten, aber weil das kostet, gibt es eben weniger, hat niemand gesagt: Wie blöd.

(Foto: rawpixel on Unsplash)

Schlechte Menschen essen schlechtes Essen?

Nachdem wir gestern leichte Kost zum Thema Schaumwein hatten, gibt es heute mal ein richtig schweres Stück zum Lesen. Bei Medium schreibt Virginia Sole-Smith wie aus Teilen der Bewegung hin zu ökologischerem Essen ein völlig gestörtes Verhältnis zu Nahrung erwuchs. In ihrer partiellen Selbstanklage zitiert sie die Nahrungsjournalistin Christy Harrison:

“We kept thinking we were finding answers. But really, we were participating in this mass marketing of disordered eating.”

Tatsächlich bringt Sole-Smith ein paar bestürzende Beispiele, wie aus Body Issues einzelner InfluencerInnen plötzlich Ernährungstrends wurden.

The problems begin when we consider the corollaries to statements like “You are what you eat.” If that’s true, then eating “bad” foods (Big Macs, Slushies, anything made with white flour or sugar) makes you a bad person. Or at least an uninformed, undisciplined one.

Im Kern kritisiert die Autorin die Wende in der Debatte weg von der Kritik an einem falschen System und hin zu individuellen Fehlern der einzelnen Menschen.

Organic farmers and food activists may have originally banded together to take on huge corporations within the agricultural-industrial complex. But infusing their arguments with messages about health has led to the rise of a wellness-industrial complex, in which nutritionists, personal trainers, cookbook authors, and other “alternative-health experts” target us for our individual choices. Alternative food and wellness are big business now. The Amazon-Whole Foods deal was worth $13.7 billion.

Auch wenn ich nicht jeden einzelnen Punkt der Autorin teile, halte ich den Text für sehr lesens- und diskussionswert. Die Verantwortung einzelner Menschen für ihre Ernährung lässt sich für weite Teile der ersten Welt sicher nicht wegdiskutieren. Aber jeder Einzelne trifft seine Entscheidung auf Basis des eigenen Wissens und da ist definitiv auch viel fragwürdiges Wissen unterwegs, angeheizt von einer Gastro-Publizistik, die regelmäßig neue Hypes braucht, um neue Hefte verkaufen zu können.

(Foto: Daniel Lincoln on Unsplash)

Magische Kartoffeln gegen Rheuma

Eigentlich war es im Viktorianischen Großbritannien nicht großartig anders als heute, wie Gastro Obscura berichtet:

RHEUMATISM, THE HISTORICAL CATCH-ALL TERM for a number of inflammatory joint and muscle conditions, is a painful diagnosis. Before the advent of painkillers and the specialized field of rheumatology, there was little sufferers could do. So many people turned to magic, superstition, and folks remedies to ease their pain.

Doch während heute mystische Zuckerkügelchen sehr beliebt sind, hatten die Menschen damals einen anderen magischen Gesundheits-Fetisch.

Many of them turned to potatoes.

Damit die Heil-Kartoffel ihre Wirkung entfalten konnte, musste sie gestohlen sein und dann in der Tasche getragen werden, berichtet Anne Ewbank. Das Pitt Rivers Museum in Oxford hat sogar eine ganze Sammlung mit magischen Kartoffeln. Die Idee war, dass mit dem Schrumpeln der geklauten Kartoffel die Schmerzen zurückgehen. Dank des Placebo-Effektes mag es dem ein oder andern sicher sogar geholfen haben, und das ist doch eigentlich schön.

One convert to the potato cure, a Commodore Phillips, pilfered a potato from a barrel in Charleston, South Carolina, and defied a doctor who told him it couldn’t possibly bring him any pain relief. An 1897 medical journal quoted him: “I do not believe in it, but I have a potato and I have no rheumatism.”

(Foto: Juergen Jotzo  / pixelio.de)

Saftladen

Nikolas Rechenberg berichtet davon, wie Sebastian Frank mit Säften und Essenzen seine preisgekrönte Küche optimiert. Von einfachem Apfelsaft bis zu Drinks mit Molke, Meerrettich und Leindotteröl scheint seine Phantasie keine Grenzen zu kennen. Dem Guide Michelin gefällt das. In der letzten Ausgabe gab es zwei Sterne für sein Restaurant HORVÁTH.

Mit der „Essenz meines Lebens“ begibt sich der Österreicher mit Produkten von Orten seiner Kindheit und seiner kulinarischen Karriere auf eine Reise. Mais und Getreide aus Niederösterreich, Pilze, Wasser und Steine aus der Steiermark und Schaufelbraten oder Schulterscherzl aus Wien sind die Zutaten für eine einzigartige Suppe, die er schließlich in seinem Berliner Restaurant serviert. Er verwendet für den letzten Schritt der Zubereitung einen Cold Dripper und lässt den Fond aus geröstetem Mais und Getreide, getrocknetem Fleisch, Wasser und Pilzen durch die zerschlagenen Steine laufen.

Dabei probiert Frank nicht nur neue Zubereitungstechniken aus, sondern markiert wohl auch eine Zeitenwende. Während es früher selbstverständlich war, zu gehobenen Menüs eine Weinbegleitung zu bestellen, ist der Alkohol heute gleich von mehreren Seiten unter Attacke. Gesundheitsfreunde warnen vor den Schäden des Rauschmittels. Während es schick geworden ist, präventiv zumindest auf Zeit zu verzichten, gibt es am anderen Ende auch viele Menschen, die nach einem gelungenen Entzug keinen Alkohol mehr bestellen dürfen. Gleichzeitig stellen sich große Teile des Fine-Dining-Bereichs immer stärker auf reiche Kundschaft aus dem nahen Osten ein. So sehr die Scheichs den Luxus schätzen, der Alkohol ist ihnen religiös verboten. Darauf stellt man sich mittlerweile sogar in traditionellen Weinbauregionen ein.

(Bild: CC-BY Breville USA)

Gesundheitsrisiko Fernsehköche

Fast jede Zeitung schrieb Anfang der Woche über den neuen Bericht des Bundesinstitutes für Risikobewertung. Verlinkt hat ihn leider kaum jemand, dabei ist er hier doch leicht zu finden. Das Institut hat insgesamt 60 Fernseh-Kochshows ausgewertet. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, das im Schnitt alle 50 Sekunden ein „Hygienefehler“ gezeigt werde. Als häufigste Risiken kritisieren die Wissenschaftler die folgenden Verhaltensweisen:

– Dreckige Hände am Geschirrhandtuch abwischen

– Mit den Fingern salzen oder würzen

– Das Schneidebrett nicht reinigen, nachdem rohe Produkte darauf waren

– Kein Händewaschen, nachdem diese das Gesicht berührt hatten

Das Problem scheint nicht nur in Deutschland zu bestehen:

Bedenklich ist jedoch, dass die in TV-Kochsendungen gezeigte Küchenhygiene häufig nicht einwandfrei ist. Das belegen Studien aus unterschiedlichen Ländern: So übertreffen in vielen amerikanischen TV-Kochsendungen Hygienefehler zahlenmäßig die richtig demonstrierten Hygienepraktiken. Hygienisch bedenkliche Praktiken können beim Nachahmen zu Lebensmittelinfektionen führen.
Die Häme mancher Journalisten scheint mir kaum angebracht. Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein. Komischerweise wurden solche Hygienefehler in hunderten Kritiken zum Thema Fernsehköche eigentlich nie erwähnt. Das lässt vermuten, dass selbst die Kritiker der TV-Köche ähnliches Verhalten an den Tag legen. Es scheint trotzdem angebracht für alle, mal ein bisschen über das eigene Küchenverhalten nachzudenken. Das Bundesinstitut für Risikobewertung geht davon aus, dass solche Hygienefehler für mehr als 100000 Infektionen jährlich verantwortlich seien – und wer ist schon gerne krank?

(Bild: Salmonellenbakterien unter dem Elektronenmikroskop/ CC-BY NIAID)

Von der Spitzenküche in den Kindergarten

Diverse Medien haben die Tage Klaus Peters dpa-Geschichte über den Koch Alexander Eckardt geteilt. Der hatte im Potsdamer Gourmet-Restaurant Juliette gelernt und stand danach unter anderem im Edelkaufhaus Galeries Lafayette in Berlin am Herd. Letzten Juli hat er sich radikal umorientiert und kocht seitdem in einer Kita.

Früher dauerte der Arbeitstag bis in die frühen Morgenstunden, nun hat Eckardt nachmittags ab 16 Uhr frei. Dafür nimmt der Spitzenkoch erheblich weniger Gehalt in Kauf, hat aber nicht unbedingt weniger Stress.

Dazu passend ist diese etwas ältere Meldung über den Sternekoch Tristan Brandt, der ein ganzes Lokal für Kinder plant.

«Ich fürchte nämlich, dass irgendwann kaum mehr jemand vom Nachwuchs kochen kann», sagte Brandt, der im «Guide Michelin 2017» mit zwei Sternen ausgezeichnet ist. Als Koch sehe er sich in der Pflicht, dem Nachwuchs die gesunde Ernährung näher zu bringen.

(Bild: Eine sowjetische Kindergartengruppe in den 1960er Jahren, CC BY-SA 2.0 Copper Kettle)

Werbeverbote helfen gegen Fast Food

Die kanadische Provinz Quebec hat 1980 ein Gesetz eingeführt, welches Fernsehwerbung für Kinder in Programmen verbietet, die von Kindern geguckt werden. Das erste Ergebnis dieser Maßnahme war eine drollige Rotation der Anzeigenformate.

Under the three-decades-old Quebec Consumer Protection Act, television shows with an audience made up of at least 15 per cent of kids cannot air child-targeted ads. Instead, ads for cars or dishwasher detergent are aired during Saturday morning cartoons while adult-friendly programmed is usually paired with toy ads.

Etwas spannender ist jedoch eine Studie, über die das kanadische Nachrichtenunternehmen Global News 2012 berichtet hatte. Nach dreißig Jahren scheint das Gesetz, welches auch Spielzeugwerbung betrifft, einen deutlichen Einfluss auf die Gesundheit von Kindern zu haben.

After sifting through the StatsCan data to compare the spending and eating habits of households in Quebec and Ontario, where the ban wasn’t in affect, the study suggested that the ban cut money spent on fast food in Quebec by 13 per cent per week. Dhar and Bayles estimated that the steep cut in expenses meant a decrease of 11 million to 22 million fast food meals eaten per year, or 2.2 billion to 4.4 billion fewer calories consumed by kids.

Die Autoren der Studie verweisen auch darauf, dass Fast-Food-Unternehmen sich gezielt an Kinder richten, um eine lebenslange Beziehung zur Marke zu starten. Langfristig hilft ein solch spezialisiertes Werbeverbot anscheinend nicht nur den Kindern, sondern auch den späteren Erwachsenen, sich besser zu ernähren. Das ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch den Gaumen. Verfälschte Aromen, übertriebene Würzen und schlechte Produkte sind besonders im Fast Food die Regel. In Deutschland scheinen höchstens die Grünen ähnliche Regelungen zu fordern.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Daremoshiranai)