Bürgermeister zapft, Bürger zahlt

Es kommt nicht oft vor, dass wir hier Deutschlands größtes Boulevardblatt zur Lektüre empfehlen können. Aber aktuell findet sich in der Bild ein spannendes Phänomen. Der Autor M. Deutschmann (das ist ein allgemeines Pseudonym für jeden Bild-Autor, oder?) berichtet aus Röderaue in Sachsen.  Die Gemeinde hat gerade mal 2700 Einwohner, verteilt auf vier Ortsteile. In jedem Ortsteil gibt es eine Kneipe und jede Kneipe wird von der Gemeinde betrieben. Die musste einspringen, weil die Inhaber längst alle aufgegeben haben. In der sächsischen Provinz ist es nicht leicht, profitabel eine Gastronomie zu betreiben.

Der Bürgermeister Lothar Herklotz argumentiert die Querfinanzierung über Steuergelder mit einer „Erweiterte Daseinsvorsorge.“ Mit Blick auf das Phänomen des Kneipensterbens zumindest ein diskutabler Ansatz. Muss die Gemeinschaft zur Kasse gebeten werden, wenn Gastronomie sich nicht alleine über ihre Besucher finanzieren kann? Der Landkreis scheint das nicht so zu sehen: “ Die Rechtsaufsicht des Landkreises Meißen zog die Notbremse und bestimmte: Röderaue muss seine Gaststätten abgeben.“

Warum ausgerechnet Herklotz auf so eine Idee kam, könnte auch biographische Gründe haben: Er ist nämlich seit über 40 Jahren Bürgermeister. Seine politische Sozialisierung erfolgte also noch im DDR-Realsozialismus, der natürlich komplett andere Vorstellungen von Daseinsvorsorge hatte. Sicher braucht es für 2700 Einwohner keine vier Kneipen. Aber das völlige Verschwinden der Gastronomie aus den ländlichen Räumen ist auch nicht schön.

(Bild: CC-BY Brooklyn Botanic Garden)

Vom Aussterben der Dorfkneipen

Über 60 Prozent Schwund in gerade Mal 15 Jahren. Die Zahlen der DeHoGa-Hessen, die die Welt zitiert, klingen besorgniserregend. In den hessischen Provinzen gibt es ein massives Aussterben der Dorf-Gasthäuser. Das Problem scheint ähnlich gelagert wie bei Bauernhöfen: Wenn die Betreiber zu alt werden, finden sie keinen, der die Nachfolge antreten möchte. Weil die jungen Menschen aus der Provinz fliehen, werden die Kneipen aber doppelt getroffen, denn ihnen rennt nicht nur das Personal davon, sondern auch die Kundschaft. Trotzdem ist die Entwicklung auch für Städter traurig, ist das unmittelbare Umland doch ein oft unterschätzter Schatz zur Naherholung.

Mittlerweile schätzt der Verband die Zahl der Betriebe auf nur noch etwa 1100. Zwei Jahre zuvor seien es noch rund 1800 gewesen. Und im Jahr 2002 waren es nach statistischen Angaben noch knapp 3000 Betriebe. Laut Prognosen der Fachleute wird die Zahl noch weiter sinken.

Dabei scheinen es auch die Kneipen in dichter besiedelten Räumen immer schwerer zu haben. Der WDR hat eine Karte über das Verschwinden der Eckkneipen in NRW und selbst in der Hauptstadt diagnostiziert Fabian Federl im Tagesspiegel eine Kneipenkrise.

(Foto: CC-BY-ND dmytrok)