Allein allein

Stevan Paul ist Foodjournalist und Kochbuchautor. In dieser Funktion muss er natürlich oft essen gehen. Was ihn dabei von vielen Menschen unterscheidet: Er geht ganz gerne mal alleine essen. Seinen Besuch im Frankfurter bidlabu hat er zum Anlass genommen, darüber mal ein paar grundsätzlichere Zeilen zu schreiben.

Und schon gehen sie los, die Freuden des Alleineessers: runterkommen, zu sich selbst kommen. Das gelingt formidable mit einem schlozigen Auftakt aus perfekt gegarten Meeresfrüchten, üppig angerichtet mit süffigem Safran-Paprikaschaum, unter einem hauchzartem Knusperdeckel aus Brot, und Tropfen einer Art Rouille-Mayonnaise. Dazu ein buttriger Sauvignon Blanc 2017 Weingut Wendenborn, Rheinhessen.
Und dazu: Leute beobachten.

Ein bisschen kann ich Paul ja nachvollziehen. Das ein oder andere Mal musste ich auch schon alleine einen Restaurantbesuch rumbringen und natürlich bekommt man da mehr mit. Sowohl auf dem Teller als auch um den Tisch herum. Doch grade letzterer Aspekt sorgt bei mir eher für Unwohlsein. Um den andern Gästen nicht permanent das Gefühl zu geben, dass ich ihre Aktivitäten eigentlich mit großem Interesse verfolge, vergrabe ich mich in solchen Situationen schnell in das Smartphone, eine mitgebrachte Zeitung oder ein Buch – dann bekommt man wieder weniger mit.

Gekochte Aubergine als Gottesbeweis

Und wir bleiben in Japan. Also zumindest bei der japanischen Küche – und zwar mal wieder mit einer Restaurantkritik. Stevan Paul hat bei Nutriculinary eine Lobeshymne auf das Mittagsmenü im YOSHI by Nagaya in Düsseldorf geschrieben. Dabei prägt er mehrere sehr hübsche Formulierungen wie den „Gottesbeweis auf dem Teller“ als auch den „Julien Walther-Moment“.

Kurz überfällt mich Schwermut, als mir klar wird, dass ich eine japanische Küche dieser Güte zuhause nicht werde finden können, es ist mein kurzer „Julien Walther“- Moment, jenem dauer-grantelnden Privat-Restauranttester gewidmet, den online stets eine bemitleidenswerte Aura von tiefster Unzufriedenheit umweht, weil er ein paarmal zu oft so richtig, richtig, richtig gut essen war – und seitdem, immer wieder untröstlich und vergeblich, jenen Kick sucht. Ich vertreibe die trüben Gedanken, ich bin ja Koch, ich kann lernen!

Da es also einen Ausweg aus dem Schwermut zu geben scheint, seien meinen Leserinnen und Lesern noch möglichst viele Julien-Walther-Momente gewünscht. Während es gestern mit dem Dashi um alte, japanische Küchentraditionen ging, geht es diesmal eher um die japanische Küche der Zukunft. Denn der Koch Yoshizumi Nagaya ist berühmt dafür, die japanische Küche mutig weiterzudenken. Das gefällt nicht nur Paul gut.

(Bild: CC-BY-SA Ian Sommerville)

Von der Suche nach den richtigen Wörtern

Eigentlich habe ich gedacht, ich verlinke Philipp Mausshardts Artikel-Reihe „Auf die Mütze“ in der taz erst, wenn sie komplett ist. Aber vielleicht soll es ja Fragment bleiben, mehr als zwei Folgen scheint es bisher leider nicht zu geben. Der Autor, selbst ein erfahrener Restaurantkritiker, wagt sich auf die Meta-Ebene und schreibt ein bisschen über diese ganz spezielle Textgattung. Im ersten Teil geht es um die Geschichte des Textgenres.

Als Vater der Restaurantkritik gilt der Franzose Alexandre Grimod de la Rey­nière. Ein Adeliger, der kurz nach der Französischen Revolution damit begann, die Kochkünste seiner Landsleute mit bissig-ironischen Kommentaren zu bewerten.

Für aktive Restaurantkritiker besonders spannend ist der zweite Teil. Hier klagt der Autor über die Schwierigkeit, Geschmack adäquat in geschriebenem Text wiederzugeben.

Süß, sauer, salzig, bitter. Viel mehr Begriffe, um einen Geschmack zu beschreiben, gibt es nicht. Umami, die fünfte Geschmacksqualität, am ehesten mit „fleischig, würzig“ umschrieben, kennt schon kaum ein Mensch.

Im Unterschied zu Dollases Stiftung Restaurantkritik, die wir vor kurzem hatten, denkt Mausshardt deutlich mehr an den Leser, der am Ende auch was lernen will und Spaß haben soll mit dem Text.

(Bild: CC BY 2.0 cheeseslave)

 

 

Dollases Stiftung Restaurantkritik

Der König der deutschen Gastrokritik, Jürgen Dollase, hatte sich vor dem Erscheinen des neuen Gault Millau ein paar Gedanken darüber gemacht, wie ein optimaler Restaurantführer ausfallen müsste. Typisch für Dollase ist das Gedankenspiel nicht gerade klein.

Ein optimiert arbeitender Führer muss sodann ein neues Konzept der kulinarischen Kommunikation verfolgen, bei dem es weniger – wie heute oft zu finden – darum geht, eine bestimmte, bevorzugte Klientel zu bedienen, als darum, alle Restaurants gleich welcher Stilistik mit dem dazu passenden Publikum zusammenzubringen. Dazu wird es nicht nur nötig sein, eine sachliche Sprache zu finden, die in der Lage ist, jede Form von Küche zu beschreiben, sondern auch den Willen und das Vermögen zu haben, jeden Küchenstil nachvollziehbar zu analysieren und zu beschreiben.

Das spannendste an Dollases Utopie sind die Grundsätze, die er zur Beurteilung von Kochkunst benennt:

Im Mittelpunkt der Arbeit des Restaurantkritikers steht das Verstehen dessen, was in einem Restaurant gemacht wird. Schon diese scheinbar einfache Forderung steht in einem beträchtlichen Gegensatz zu dem, was heute üblicherweise gemacht wird. Ein möglichst genaues Verstehen kann als Grundlage nur so viel Wissen wie eben möglich haben. Auch das können wir heute oft nicht beobachten. Erst nach dem Verstehen von Details und Zusammenhängen kann es an eine Einordnung gehen, wobei diese zuerst eine stilistische und/oder gastronomische sein sollte. Den Abschluss bildet nicht etwa eine Wertung, sondern eine Empfehlung, die transparent macht, welche Gäste sich aus welchen Gründen für eine solche Küche interessieren könnten. Eine Wertung in Form einer Hierarchisierung der Leistungen steht – wenn überhaupt – erst am Schluss der Analysen.

Typisch für Dollase denkt er hier sehr stark an die Produzenten und die Produkte, denen sein Urteil gerecht werden will.  Wie bei allen Versuchen eines wissenschaftlichen Bemühens um Objektivität üblich, wird dabei der Unterhaltungswert zu Gunsten eines Erkenntnisgewinnes hinten angestellt. Allerdings sind Restaurantkritiken bisher fester Bestandteil der Magazin- und Feuilletonkultur. Sie werden in der Regel von den Lesern am Kiosk finanziert. Für diese sind aber gerade die von Dollase gering geschätzten Wertungen besonders interessant. Weil Gastronomiekritiken aktuell eben nicht die Unabhängigkeit haben, die Dollases Stiftungsideal ihnen ermöglichen würde, müssen sie unterhalten und auch jene Leser ansprechen, die an einem wissenschaftlichen Werturteil über ein bestimmtes Restaurant, in das sie vielleicht nie gehen würden, gar nicht interessiert sind. Das sind wohlgemerkt alles keine Argumente gegen die Stiftungs-Idee. Ich wollte nur aufzeigen, warum im bestehenden System Kritiken nicht so wissenschaftlich-kühl funktionieren können, sondern sich einem Diktat der medialen Aufmerksamkeitsökonomie unterordnen müssen, welches aus den mittelmäßigsten Köchen die größten Fernsehstars macht.

Besonders schön an Dollases Idee finde ich den Schwerpunkt auf eine Empfehlung, die davon ausgeht, dass es für jede Küche ein ideales Publikum geben kann, welches der Tester eben definieren muss. Auch der edelste Gaumen muss anerkennen, dass fettige Freibad-Fritten in der Durchschnittsbevölkerung irgendwie populärer sind, als Sterneküche.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Inspirational Food)