Schlechte Menschen essen schlechtes Essen?

Nachdem wir gestern leichte Kost zum Thema Schaumwein hatten, gibt es heute mal ein richtig schweres Stück zum Lesen. Bei Medium schreibt Virginia Sole-Smith wie aus Teilen der Bewegung hin zu ökologischerem Essen ein völlig gestörtes Verhältnis zu Nahrung erwuchs. In ihrer partiellen Selbstanklage zitiert sie die Nahrungsjournalistin Christy Harrison:

“We kept thinking we were finding answers. But really, we were participating in this mass marketing of disordered eating.”

Tatsächlich bringt Sole-Smith ein paar bestürzende Beispiele, wie aus Body Issues einzelner InfluencerInnen plötzlich Ernährungstrends wurden.

The problems begin when we consider the corollaries to statements like “You are what you eat.” If that’s true, then eating “bad” foods (Big Macs, Slushies, anything made with white flour or sugar) makes you a bad person. Or at least an uninformed, undisciplined one.

Im Kern kritisiert die Autorin die Wende in der Debatte weg von der Kritik an einem falschen System und hin zu individuellen Fehlern der einzelnen Menschen.

Organic farmers and food activists may have originally banded together to take on huge corporations within the agricultural-industrial complex. But infusing their arguments with messages about health has led to the rise of a wellness-industrial complex, in which nutritionists, personal trainers, cookbook authors, and other “alternative-health experts” target us for our individual choices. Alternative food and wellness are big business now. The Amazon-Whole Foods deal was worth $13.7 billion.

Auch wenn ich nicht jeden einzelnen Punkt der Autorin teile, halte ich den Text für sehr lesens- und diskussionswert. Die Verantwortung einzelner Menschen für ihre Ernährung lässt sich für weite Teile der ersten Welt sicher nicht wegdiskutieren. Aber jeder Einzelne trifft seine Entscheidung auf Basis des eigenen Wissens und da ist definitiv auch viel fragwürdiges Wissen unterwegs, angeheizt von einer Gastro-Publizistik, die regelmäßig neue Hypes braucht, um neue Hefte verkaufen zu können.

(Foto: Daniel Lincoln on Unsplash)

Heidegger und totes Fleisch

Okay, das ist jetzt etwas schwierig. Der amerikanische Youtube-Kanal „The School of Life“ erklärt in diesem Video das Denken Heideggers mit einfachen Zutaten und Metaphern aus der Küche. Eigentlich wurde Tatar und Theorie genau für solche Begegnungen zwischen Philosophie und Kulinarik eröffnet. Und das Video schafft es auch, die zentralen Gedanken von Heideggers durchaus einflussreicher Ontologie sehr anschaulich zu erklären. Deshalb teile ich das Video auch gerne mit euch.

Jetzt kommt das Aber: Heidegger war überzeugter Nazi und Antisemit – und dass seine authentizitäts-esoterische Denke antimodern-fragwürdig bis menschenfeindlich-gefährlich ist, konnte man durchaus schon vor der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte wissen. Wenn man es denn wollte. Aber das sollte einen ja nicht hindern, sich trotzdem selbst mal rein- und mitzudenken, vielleicht aber immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Heideggers Lehre und Person nicht ganz unbeteiligt gewesen ist am industriellen Massenmord von über 6 Millionen Juden, aber auch Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Sozialisten, Gewerkschaftlern, Pazifisten und allen andren, die der nationalsozialistischen Lehre nicht in den Kram gepasst hatten.

Schluss ist auf jeden Fall mit dem Mythos vom unpolitischen Philosophen, der kurzzeitig der naiven Idee aufsaß, er könne „den Führer führen“, wie Jaspers das einmal formuliert hat – nein Heidegger hielt sich tagespolitisch auf dem Laufenden, das bezeugen die Schwarzen Hefte. Er las Zeitungen, kommentierte das Weltgeschehen. Und über Hitler notierte Heidegger schwärmerisch, dass – Zitat – „der Führer eine neue Wirklichkeit erweckt hat, die unserem Denken die rechte Bahn und Stoßkraft gibt.“