Baudrillard, Starbucks und der simulierte Kürbis

Der Herbst kommt, oder wie man früher nur in den USA und mittlerweile auch hier sagt: ‚tis the season for Pumpkin Spice Latte. Was das eigentlich genau ist, und warum das Getränk uns dabei helfen kann, den französischen Poststrukturalisten Jean Baudrillard zu verstehen, erklärt dieser schöne Text von Eugene Wolters bei Critical Theory.

So next time you drink your pumpkin spice latte, just remember: nothing is real, and nothing matters. Maybe.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Denise Mattox)

Heidegger und totes Fleisch

Okay, das ist jetzt etwas schwierig. Der amerikanische Youtube-Kanal „The School of Life“ erklärt in diesem Video das Denken Heideggers mit einfachen Zutaten und Metaphern aus der Küche. Eigentlich wurde Tatar und Theorie genau für solche Begegnungen zwischen Philosophie und Kulinarik eröffnet. Und das Video schafft es auch, die zentralen Gedanken von Heideggers durchaus einflussreicher Ontologie sehr anschaulich zu erklären. Deshalb teile ich das Video auch gerne mit euch.

Jetzt kommt das Aber: Heidegger war überzeugter Nazi und Antisemit – und dass seine authentizitäts-esoterische Denke antimodern-fragwürdig bis menschenfeindlich-gefährlich ist, konnte man durchaus schon vor der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte wissen. Wenn man es denn wollte. Aber das sollte einen ja nicht hindern, sich trotzdem selbst mal rein- und mitzudenken, vielleicht aber immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Heideggers Lehre und Person nicht ganz unbeteiligt gewesen ist am industriellen Massenmord von über 6 Millionen Juden, aber auch Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Sozialisten, Gewerkschaftlern, Pazifisten und allen andren, die der nationalsozialistischen Lehre nicht in den Kram gepasst hatten.

Schluss ist auf jeden Fall mit dem Mythos vom unpolitischen Philosophen, der kurzzeitig der naiven Idee aufsaß, er könne „den Führer führen“, wie Jaspers das einmal formuliert hat – nein Heidegger hielt sich tagespolitisch auf dem Laufenden, das bezeugen die Schwarzen Hefte. Er las Zeitungen, kommentierte das Weltgeschehen. Und über Hitler notierte Heidegger schwärmerisch, dass – Zitat – „der Führer eine neue Wirklichkeit erweckt hat, die unserem Denken die rechte Bahn und Stoßkraft gibt.“

 

Die linke Döner-Debatte

Was war das für eine traurige Posse, letzten Sommer, als der Boulevard eine Diskussion im Europäischen Parlament über mögliche Gesundheitschäden von Phosphat so böswillig uminterpretierte, als wollten herzlose Bürokraten aus Brüssel den armen Menschen ihren Döner verbieten. Die linke Wochenzeitung Jungle World hat das einzig richtige gemacht, und über den albernen Boulevard-Streit gleich größenwahnsinnig die große Systemfrage gestellt: Döner Ja oder Nein.

Auf der Pro-Seite vermutete Ralf Balke hinter der Verbotsdebatte einen deutschen Zwangscharakter. Hinter dem vorgezogenen Argument der Volksgesundheit – denn es wurde nur über Döner, jedoch nicht über Bratwurst gesprochen, verberge sich eine fremdenfeindliche Ablehnung der orientalischen Spezialität kombiniert mit zwanghaften Vorstellungen von Sauberkeit und Hygiene.

Wer also dem Döner das Existenzrecht entziehen will, hat vor allem eines: pathologische Vorstellungen von Reinheit und Volkshygiene.

Nicht weniger theoretisch hochtrabend sind die Gegenargumente von Jan Stich. Der kritisiert einerseits die in der Regel mäßige Qualität des Döners, wie er in Deutschland serviert wird und hält diesen andererseits, im Kontrast zu Balke, für sehr vereinbar mit Fremdenfeindlichkeit. Dazu verweist auf die über ein Jahrhundert bestehende, militärische Kooperation zwischen Berlin und Bosporus.

Döner Kebab bedeutet Mittelmaß für die Massen statt Austern für alle. Das ist nicht das gute Leben. Das ist Food-Fordismus, Fließbandfutter, kulinarische Kulturindustrie.

In dem Kontext auf jeden Fall auch spannend ist ein taz-Artikel von Philipp Mausshardt aus dem letzten Frühjahr. Der erinnert zuerst daran, dass viele Gerichte ihren Ursprung in Kriegszeiten hatten und leitet davon ab, dass die friedliche Entwicklung und Ausbreitung zwischen Ankara und Berlin ein allgemein nachahmenswertes Beispiel für Völkerverständigung ist.

Man muss in der heutigen Aufregung deshalb schon froh darüber sein, dass der Döner ganz friedlich seinen Weg nach Mitteleuropa gefunden hat. Anstatt sich zu massakrieren, hätten sich die Migranten früherer Zeiten und die einheimische Bevölkerung besser auch schon um eine friedliche Integration bemühen sollen, den Austausch von Rezepten selbstverständlich mit einbezogen.

Da soll mal einer sagen, Döner sei langweilig. Mit ausreichend professioneller Deformation und genug Semestern Geistes- und Sozialwissenschaften kann man selbst über türkisches Grillfleisch weltanschauliche Debatten führen. Und dabei haben wir die Frage nach den ethischen Schwierigkeiten des Fleischkonsums noch nicht mal angeschnitten.

(Bild: CC-BY A of DooM)

Noch ein Schlückchen?

Passend zum Marihuana-Buch vor einigen Tagen, steht aktuell eben auch der Alkohol zur Debatte. Manchem mag das ja zum Schädel nach der Silvester-Feier ganz gut passen. Barbara Russ beleuchtet das Problem in der FAZ aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive von instagram bis Leistungsgesellschaft. Ihr scheint der alkoholische Exzess ein notwendiges Ventil für die Zumutungen der Selbstausbeutung. Dadurch etabliere sich eine Selbstverständlichkeit um das Trinken, die jene unter Rechtfertigungsdruck stellt, die keinen Alkohol trinken möchten. Dazu empfiehlt sich auch Takis Würgers Text bei Spiegel Online über Benjamin von Stuckrad-Barres Nüchternheit.

Die Nüchternheit fühlt sich erstaunlich abenteuerlich an, wenn alle anderen „Prosit“ sagen. Im „Grill Royal“ war nach zwei Stunden alles gesagt, weil wir, so ohne Alkohol im Blut, kaum Unsinn gequatscht hatten. Wie effektiv es doch ist, „Preussen Quelle“ zu trinken.

Nachtrag: Die Washington Post hat ein paar Tipps, wie der Dry-nuary gelingen kann – der Januar ohne Alkohol.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Volker Kannacher)

 

Wie christlich ist der Weihnachtsbraten?

Das Fest der Liebe ist bei uns vor allem ein Fest des Fleisches

Am zweiten Weihnachtsfeiertag mal ein scheinbar ketzerischer Gedanke zum Fest: Wie christlich ist das eigentlich mit dem Weihnachtsbraten oder dem Fleischverzehr an sich. Katrin Wienefeld hat einen spannenden Artikel zum Thema auf evangelisch.de geschrieben. Darin stellt sie eine Hamburger Gemeinde vor, die seit acht Jahren ihr traditionelles Weihnachtsessen vegetarisch feiert. Der Artikel argumentiert vor allem aus einer Tierschutz-Perspektive, quasi eine erweiterte Nächstenliebe auf Vierbeiner. Dieser Umweg für Tierfreunde wäre dabei gar nicht notwendig, denn längst ist der massenhafte Fleischkonsum ja auch eine Bedrohung für die Umwelt und damit die Mitmenschen geworden. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, müsste folglich also auch heißen: Mach deinem Nächsten wie dir selbst lieber Mal einen Salat.

Könnte es ein Zeichen für die Sorge um das Klima und um das Wohl der Tiere sein, wenn christliche Gemeinden feiern, ohne dabei Fleisch zu verzehren?

(Bild: Das Abendmahl in Emmaus von Michelangelo Merisi da Caravaggio; Public Domain)

Praxisbeispiel Gastrochauvinismus: Italians Mad At Food

In ihrem sehr lesenswerten Buch „Identität geht durch den Magen. Mythen der Esskultur“ hat die Literaturwissenschaftlerin Christine Ott  den Begriff des Gastrochauvinismus eingeführt, der eine herablässige Verachtung mancher Länderküchen gegenüber anderen Formen der Esskultur ausdrücken soll. Ein besonders unterhaltsames Beispiel für Gastrochauvinismus im Bereich Social Media bietet der Twitteraccount Italians Mad At Food. Viel Spaß beim Schmökern, Ärgern und Lachen.