Bürgermeister zapft, Bürger zahlt

Es kommt nicht oft vor, dass wir hier Deutschlands größtes Boulevardblatt zur Lektüre empfehlen können. Aber aktuell findet sich in der Bild ein spannendes Phänomen. Der Autor M. Deutschmann (das ist ein allgemeines Pseudonym für jeden Bild-Autor, oder?) berichtet aus Röderaue in Sachsen.  Die Gemeinde hat gerade mal 2700 Einwohner, verteilt auf vier Ortsteile. In jedem Ortsteil gibt es eine Kneipe und jede Kneipe wird von der Gemeinde betrieben. Die musste einspringen, weil die Inhaber längst alle aufgegeben haben. In der sächsischen Provinz ist es nicht leicht, profitabel eine Gastronomie zu betreiben.

Der Bürgermeister Lothar Herklotz argumentiert die Querfinanzierung über Steuergelder mit einer „Erweiterte Daseinsvorsorge.“ Mit Blick auf das Phänomen des Kneipensterbens zumindest ein diskutabler Ansatz. Muss die Gemeinschaft zur Kasse gebeten werden, wenn Gastronomie sich nicht alleine über ihre Besucher finanzieren kann? Der Landkreis scheint das nicht so zu sehen: “ Die Rechtsaufsicht des Landkreises Meißen zog die Notbremse und bestimmte: Röderaue muss seine Gaststätten abgeben.“

Warum ausgerechnet Herklotz auf so eine Idee kam, könnte auch biographische Gründe haben: Er ist nämlich seit über 40 Jahren Bürgermeister. Seine politische Sozialisierung erfolgte also noch im DDR-Realsozialismus, der natürlich komplett andere Vorstellungen von Daseinsvorsorge hatte. Sicher braucht es für 2700 Einwohner keine vier Kneipen. Aber das völlige Verschwinden der Gastronomie aus den ländlichen Räumen ist auch nicht schön.

(Bild: CC-BY Brooklyn Botanic Garden)

Die Großstadt konsumiert Gastronomen

Wolfgang Oelrich hat in der FAZ ein schönes Portrait über Reiner Neidhart geschrieben, der so eine art Gastro-Heiliger für die Wetterau ist. Ausgebildet wurde er im nahen Frankfurt, im Grand Hotel Frankfurter Hof. Spannend ist, wie er heute über die Gastroszene der Stadt denkt:

 „Das ist nichts für mich“, antwortet er dann. „Dort wirst du als Gastronom konsumiert. Dauernd musst du einen neuen Kick liefern. Ich bleibe lieber in der Kleinstadt und authentisch.“

Der Gang in die Provinz hat sich ausgezahlt. Im letzten Guide Michelin wurde Neidharts Küche mit einem Bib Gourmand geehrt. Das Drei-Gänge-Menü gibt es bei ihm für 35 bis 40 Euro.

(Bilder: ein ungewöhnlicher Blick auf die Frankfurter Skyline/ CC-BY Matthias Ripp)