Systemgastronomie mit drei Sternen

Als ich vor kurzem in London war, hat mich eines besonders überrascht: Es gibt dort in jeder Ecke Systemgastronomie. Und damit meine ich nicht nur McDonalds und Co. Von Pret a Manger über Jamie’s Italian, las Iguanas, wagamama, ping pong und Prezzo bis hin zum L’Atelier de Joël Robuchon gibt es auf der Insel viel mehr Ketten, auch in gehobeneren Segmenten, die nach Schema F Innenstädte beleben und versorgen. Im Vergleich dazu ist Festland-Europa noch Systemgastronomie-Entwicklungsland. Man mag darüber streiten, ob das nun Fluch oder Segen sei. Der traditionelle, deutsche Feinschmecker verteidigt natürlich den inhabergeführten Feinschmeckertempel ohne Franchise oder Tochter-Unternehmen, aber der ist nicht unbedingt wirtschaftlich durchhaltbar und nicht jede Ökonomisierung des Betriebes muss auch eine Verschlechterung der Produkte bedeuten.

Nur eines fehlt in London bisher: Systemgastronomie mit drei Sternen. Das Atelier de Joël Robuchon in London hat es zwar mit einem Stern in den Guide geschafft, drei Sterne bei Michelin hat aber nur die Dependance in Hong Kong. Dort war Julien Walther kürzlich zu Gast, und wie das bei ihm üblich ist, hat er hinterher eine schöne Kritik geschrieben. Sein Urteil: Systemgastronomie muss mit McDonalds gar nichts zu tun haben.

Die Ateliers stehen wegen ihres Systemgastronomie-Charakters bei einigen in der Kritik. Doch was bedeutet das schon? Nur, weil eine globale Kette zentral gemanagt wird, ist das kein Nachteil für den Gast. Im Gegenteil. Ich liebe im Fall der Ateliers die Konformität und das Bekannte. Die Küchen sind offen, die Küchenchefs sind hervorragende, gewissenhaft arbeitende Spitzenköche, und die exzellenten Produkte profitieren von den vor Ort jeweils möglichen Bezugsquellen.

(Foto: Original: Bogomil Mihaylov on Unsplash/Bearbeitung: Tatar und Theorie)

Stillstand bei Michelin?

Es ist November und Feinschmecker wissen, was das bedeutet: Sternezeit. Immer im November erscheint die deutsche Ausgabe des Guide Michelin und damit beginnt auch das aufgeregte Getratsche: Wer ist neu dabei? Wer konnte verteidigen? Und wer muss Sterne abgeben?

Dieses Mal verschiebt sich der traditionelle Sterne-Regen jedoch gehörig. Erst im Februar 2019 soll der Guide diesmal erscheinen. Die offizielle Erklärung spricht von neuen Destinationen. Das ist etwas überraschend, denn die bisherigen Hefte haben ja auch nicht nur die alten Ziele immer wieder vorgestellt und Deutschland hat sich eigentlich nicht sonderlich vergrößert seit 2017. Es gab in letzter Zeit durchaus Kritik an der ein oder anderen Auszeichnung. Manche sprechen schon von einer „Sterne-Inflation“. Vielleicht wird nun ganz allgemein beim Regelwerk nachgebessert? Freuen dürfen sich all jene Restaurants, die 2017 ausgezeichnet wurden, denn ihre Sterne halten nun drei Monate länger. Alle andern dürfen wenigstens gespannt sein, was der Februar bringt. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist der Guide Michelin mit seinen vergleichsweise hohen und transparenten Testmaßstäben immer noch der Leitstern bei der Restaurantbewertung. Ein Blick auf das Elend der Sterne-Bewertungen bei Hotels verrät, wie froh Restaurantbesucher über den Guide Michelin sein können.

(Foto: Quentin Kemmel on Unsplash)

Restaurant-Kritik aus der Lichtorgel

Heute empfehlen wir mal eine Restaurantkritik – und zwar eine ganz außergewöhnliche Restaurantkritik aus einem ganz außergewöhnlichen Restaurant. Julien Walther, der auf seinem Blog Trois Etoiles regelmäßig die Spitzenklasse aus dem Guide Michelin testet, war kürzlich im Ultraviolet. Dort, in Shanghai testet Küchenchef Paul Pairet ein besonderes Gastro-Konzept. Mit speziellen Projektoren wird der komplette Saal zur Leinwand. Vom Teller über die Tischdecke bis zu den Wänden ist das gesamte Restaurant teil einer komplexen Lichtinstallation. Diese wird thematisch passend zu jedem Gang gewechselt. Bei frittiertem Fisch plätschert britischer Regen, zu chinesischer Küche erscheinen fernöstliche Masken. Ein echtes Erlebnis für alle Sinnen.

„It’s not art“ sagt Pairet, als ich mich noch etwas mit ihm unterhalte, während die anderen Gäste langsam Platz nehmen. Nein, Kunst ist das hier alles nicht. Es ist Unterhaltung.

Ob sich das wirklich immer so leicht trennen lässt?

Walther schließt seine Besprechung auch nicht frei von Kunst mit einer Reflektion über die Generalisierbarkeit von Genuss ab. Ich zitiere die Überlegungen mit der Anmerkung, dass das vielleicht nicht nur für „psycho taste“ gelten mag, sondern für jeden Sinneseindruck:

Der von Pairet so bezeichnete „Psycho-Geschmack“ (psycho taste), mit dem er zum Ausdruck bringen möchte, dass es bei der Wahrnehmung von Essen viel um Emotionen geht, ist der Grundpfeiler dieses originellen ‒ und inzwischen auch kopierten ‒ Restaurantkonzepts. Hierzu kann ich feststellen, dass die Bilder und Töne durchaus inspirieren, aber eine fehlende Assoziation nicht ersetzen können. Am besten funktioniert dieses Konzept daher für Esser, die zu vielen Szenerien bereits Erlebnisse abrufen können. Mir ging das so, von Griechenland und Marseille über Monaco, Paris und London bis zu den spanischen Surrealisten: zu all diesen Themen habe ich meine eigenen Geschichten im Kopf. Das ist fast schon erschreckend. Haben alle Gäste heute wirklich dasselbe gesehen?

Wer bewegte Bilder braucht, um sich das alles besser vorstellen zu können, für den hat die New York Times ein spannendes Video über das Ultraviolet gedreht. „In a normal restaurant, the light has nothing to do with your dish.“

(Bild: CC BY-SA 2.0 Alan Wu)

 

Michelin – Geschichten aus der Sterneküche

Bis Ende des Monats gibt es in der arte-Mediathek noch die großartige Dokumentation „Michelin – Geschichten aus der Sterneküche“ von Rasmus Dinesen, der in weniger als einer Stunde fast alles abgrast, was allgemein zum wichtigsten Restaurantführer der Welt zu sagen wäre. Die Geschichte, die Kriterien, die Tester, die Kritik, die außergewöhnlichen Arbeitsbedingungen in der Sterneküche, die menschlichen Tragödien, die globalen Unterschiede, alles ist irgendwie dabei und wenn auch nicht jeder Gedanke sinnbringend abgeschlossen wird, so ist er doch in jedem Fall von Kyoto bis Manhattan wundervoll gefilmt.

Das Noma kommt genau so vor, wie alte französische Meister und auch die Episode darüber, was passiert, wenn der Guide sich aus einem Land wieder zurückzieht, ist spannend. Am Ende ist das Etikett „Drei Sterne“ eben doch nie ein objektives, sondern abhängig von verschiedensten Konstellationen. Dafür gebührt Rasmus Dinesen großer Dank.

Etwas kurios mutet die eingestreute Verschwörungstheorie an, nach der es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl verkaufter Michelin-Reifen in einem Land, und dort verteilter Sterne geben soll. Das scheint doch leicht widerlegbarer Quatsch zu sein. Aber eigentlich ist so was bei arte-Dokus ja auch standard. Um so peinlicher deshalb die Episode, mit der im großen und ganzen soliden Antisemitismus-Doku, die damals wegen angeblicher Qualitätsmängel nicht ausgestrahlt wurde. Aber wir schweifen ab. Wie das eben so ist, mit arte.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Manel)