Die Blutdiamanten Mexikos

Dass der Avocado-Hype in Mexiko eine blutige Spur hinter sich herzieht, hatten wir im Januar schon mal angeschnitten. Nun berichtet GEO darüber, dass mit JP McMahon sich der erste Sternekoch für einen kompletten Boykott der problematischen Butterfrucht ausspricht.

Für McMahon, der im irischen Galway zwei Restaurants führt, seien die Früchte vergleichbar mit Eiern aus Legebatterien. Deshalb rufe er Köche dazu auf, sie nicht zu verwenden oder den Einsatz zumindest zu reduzieren. „Nichts wird sich ändern, wenn der Verbraucher nichts ändert. Wir benutzen sie in keinem unserer Restaurants.“

Dass McMahon mit dieser Haltung nicht alleine steht, zeigte jüngst auch ein englisches Café, das in einem kontrovers diskutierten Instagram-Post verkündete, keine Avocados mehr zu verwenden.

Im Gespräch mit dem Irish Independent fand er den drastischen Vergleich „Blutdiamanten Mexikos.“ Aber eine echte Trendwende ist noch lange nicht in Sicht. In Deutschland hat sich der Avocado-Verbrauch in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Mit The Avocado Show hat in Amsterdam sogar ein reines Avocado-Restaurant eröffnet.

Wer statt zu lesen lieber Videos schaut, für den gibt es beim ZDF eine kleine Mini-Doku, warum die Avocado so problematisch ist.

(Foto: by Kelly Sikkema on Unsplash)

Fine Dining Mensa

Die Präsentation von Speisen im Fine Dining Bereich ist wie eine Sprache mit ganz eigenen Regeln. Welche Saucen kommen als Kleckse und wann eignet sich ein Spiegel? Was schneidet man in Würfel, was funktioniert besser in Sphäre und welches Lebensmittel funktioniert nur mit dünnen Scheiben? Wie jede Sprache hat auch diese Sprache ihre Klischees, und diese machen sich zwei Foodblogger an der Uni-Kassel zu nutzen. Für ihre Instagram-Bilder dekorieren Sie das dröge Uni-Kantinen-Essen um, als seien es Kreationen eines Sternekochs.

Und die beiden beherrschen das Vokabular. Aus einem traurigen Eintopf-Rest wird: „Tausendundeine Nacht blanchierter Blumenkohl mit knuffigen Kernaugen und mitternächtigen Möhrenhaaren fliegt träumerisch auf einem kalten, kratzigen Käseteppich.“ Mit Essen spielt man nicht? Manchmal sollte man doch.

 

 

 

Systemgastronomie mit drei Sternen

Als ich vor kurzem in London war, hat mich eines besonders überrascht: Es gibt dort in jeder Ecke Systemgastronomie. Und damit meine ich nicht nur McDonalds und Co. Von Pret a Manger über Jamie’s Italian, las Iguanas, wagamama, ping pong und Prezzo bis hin zum L’Atelier de Joël Robuchon gibt es auf der Insel viel mehr Ketten, auch in gehobeneren Segmenten, die nach Schema F Innenstädte beleben und versorgen. Im Vergleich dazu ist Festland-Europa noch Systemgastronomie-Entwicklungsland. Man mag darüber streiten, ob das nun Fluch oder Segen sei. Der traditionelle, deutsche Feinschmecker verteidigt natürlich den inhabergeführten Feinschmeckertempel ohne Franchise oder Tochter-Unternehmen, aber der ist nicht unbedingt wirtschaftlich durchhaltbar und nicht jede Ökonomisierung des Betriebes muss auch eine Verschlechterung der Produkte bedeuten.

Nur eines fehlt in London bisher: Systemgastronomie mit drei Sternen. Das Atelier de Joël Robuchon in London hat es zwar mit einem Stern in den Guide geschafft, drei Sterne bei Michelin hat aber nur die Dependance in Hong Kong. Dort war Julien Walther kürzlich zu Gast, und wie das bei ihm üblich ist, hat er hinterher eine schöne Kritik geschrieben. Sein Urteil: Systemgastronomie muss mit McDonalds gar nichts zu tun haben.

Die Ateliers stehen wegen ihres Systemgastronomie-Charakters bei einigen in der Kritik. Doch was bedeutet das schon? Nur, weil eine globale Kette zentral gemanagt wird, ist das kein Nachteil für den Gast. Im Gegenteil. Ich liebe im Fall der Ateliers die Konformität und das Bekannte. Die Küchen sind offen, die Küchenchefs sind hervorragende, gewissenhaft arbeitende Spitzenköche, und die exzellenten Produkte profitieren von den vor Ort jeweils möglichen Bezugsquellen.

(Foto: Original: Bogomil Mihaylov on Unsplash/Bearbeitung: Tatar und Theorie)

„Mit drei Sternen lässt sich nicht viel Geld verdienen“

…zumindest in Deutschland. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung bestätigt Eckart Witzigmann mal wieder eine allgemeine Weisheit, die es zuletzt immer schwieriger hat: Das ökonomisch beste Modell ist nicht gleichzeitig das allgemein beste Modell. Er berichtet davon, dass sich ein Drei-Sterne-Betrieb finanziell kaum lohne. Deshalb seien die meisten dieser Betriebe auch Teil eines Hotels. Dann müssen die Übernachtungsgäste den Gourmet-Betrieb quer finanzieren (Eine andere populäre Variante ist das günstigere Zweitrestaurant). Dabei verschweigt er nicht, dass der Sterne-Betrieb in Deutschland noch besonders preiswert sei.

Im internationalen Vergleich sind die deutschen Häuser dieser Klasse ausgesprochen preiswert, in London, Paris oder New York ist die gleiche Leistung locker 60 bis 80 Prozent teurer. Aber trotzdem ausgebucht.

Als Gastronom sieht er selbst diese deutsche Sparsamkeit natürlich etwas kritischer. Begeistert zeigt er sich dagegen vom Nova Regio Trend und erinnert an eine Zeit, als die deutschen Feinschmecker mit den Delikatessen aus dem unmittelbaren Umland so gar nichts anfangen konnten. O tempora, o mores!

Ich habe bereits vor 40 Jahren versucht, Erzeuger und Produzenten vor meiner Haustüre zu finden und nicht alles von weit her kommen zu lassen. Nur haben damals die Leute die Nase gerümpft, als ich ihnen Flusskrebse oder Fische aus dem Chiemsee serviert habe. Es musste ja Hummer oder Steinbutt sein.

(Foto: Sara Kurfeß on Unsplash)

Stillstand bei Michelin?

Es ist November und Feinschmecker wissen, was das bedeutet: Sternezeit. Immer im November erscheint die deutsche Ausgabe des Guide Michelin und damit beginnt auch das aufgeregte Getratsche: Wer ist neu dabei? Wer konnte verteidigen? Und wer muss Sterne abgeben?

Dieses Mal verschiebt sich der traditionelle Sterne-Regen jedoch gehörig. Erst im Februar 2019 soll der Guide diesmal erscheinen. Die offizielle Erklärung spricht von neuen Destinationen. Das ist etwas überraschend, denn die bisherigen Hefte haben ja auch nicht nur die alten Ziele immer wieder vorgestellt und Deutschland hat sich eigentlich nicht sonderlich vergrößert seit 2017. Es gab in letzter Zeit durchaus Kritik an der ein oder anderen Auszeichnung. Manche sprechen schon von einer „Sterne-Inflation“. Vielleicht wird nun ganz allgemein beim Regelwerk nachgebessert? Freuen dürfen sich all jene Restaurants, die 2017 ausgezeichnet wurden, denn ihre Sterne halten nun drei Monate länger. Alle andern dürfen wenigstens gespannt sein, was der Februar bringt. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist der Guide Michelin mit seinen vergleichsweise hohen und transparenten Testmaßstäben immer noch der Leitstern bei der Restaurantbewertung. Ein Blick auf das Elend der Sterne-Bewertungen bei Hotels verrät, wie froh Restaurantbesucher über den Guide Michelin sein können.

(Foto: Quentin Kemmel on Unsplash)

Das Noma ist jetzt ganz offiziell bei den Anarchisten

Lange war es still um das beste Restaurant der Welt. Jetzt hat René Redzepi das Restaurant neu eröffnet und schon die Wahl des Ortes soll wohl als Statement verstanden werden. Das Noma eröffnet nämlich nicht einfach wieder in Kopenhagen, sondern in der berühmten Freistadt Christiania, dem berüchtigtesten Stadtteil der dänischen Hauptstadt mit eigenen Gesetzen. Diese ist eine Mischung aus Hippie-Utopie, Kiffer-Paradies und libertärer Modellstadt.

Dabei ist zu vermuten, dass hier ähnlich wie in Kreuzberg oder dem Frankfurter Bahnhofsviertel eine Doppelbewegung stattfindet. Einerseits bekommt das Noma ein bisschen vom verruchten Image des berüchtigten Bezirks ab, andererseits wird dieser Bezirk durch das Spitzenrestaurant ordentlich aufgewertet und verliert ein Stück seines alten, anarchischen Sonderstatuts, wenn jetzt bald wohlhabende Feinschmecker aus aller Welt durch das Kommunenviertel streunern. Man darf gespannt sein, ob der Umzug am Ende nur ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Gentrifizierung mitteleuropäischer Großstädte werden wird. Vielleicht gibt es jetzt aber auch einfach Cannabis-Gerichte auf der Karte.

(Foto: Graffiti in Christiania, CC-BY-ND ChristianeBue)

Typisch deutsche Sterneküche

Die deutsche Küche war lange Zeit ein Ödland, welches niemand zu beackern wagte, der ernsthaft Gastronomie betreiben wollte. Unter solchen Schlagwörtern wie Nova Regio oder Neue Deutsche Küche findet langsam eine Wiederentdeckung traditioneller Gerichte und Zubereitungstechniken aus früherer Zeit statt. Doch auch in den Jahrzehnten der Missachtung teutonischer Traditionen haben sich wiederum ganz neue, deutsche Eigenheiten herausgebildet. Julien Walther nimmt seine jüngste Kritik von Nils Henkels neuem Restaurant auf Burg Schwarzenstein zum Anlass, etwas über diese spezielle deutsche Sterneküche zu sinnieren.

Die deutsche Spitzenküche glänzt regelmäßig ‒ und auch hier ‒ mit präzisem Handwerk. Dieses Können stellt man gerne visuell zur Schau, wobei es hierbei nicht selten vorkommt, dass Attribute wie herausragende Produkte, Authentizität, Schlichtheit und Harmonie in den Hintergrund rücken. Ein objektiv hervorragendes Essen muss diese Attribute natürlich nicht alle als Leitmotiv haben, doch wenn auf viele davon verzichtet wird, müssen weitere Dinge wie Innovation oder Geschmacksbilder umso überragender sein.

Zumindest in einem anderne Punkt, einem bieder gediegenen Einrichtungsstil, den Walther als „sachliche Eleganz“ in zahlreichen Grautönen beschreibt, erntet er in den Kommentaren jedoch direkt Widerspruch. Dieser sei auch außerhalb der BRD-Grenzen nicht unpopulär, kommentiert ein User mit dem Namen Philipp:

Das Interieur ist keine rein deutsche Sache. Ich habe beim Foto direkt an folgende drei Restaurants gedacht (bei viel mehr als 5 Dreisternern war ich noch nicht zu Besuch, also kann es noch viel mehr sein): Vendôme, Pre Catelan Paris, Alain Ducasse at the Dorchester. Das auf eine Nationalität zu begrenzen trifft die Sache nicht ganz.

So ist es wohl wie so oft mit Dingen, die man gern als typisch Deutsch, typisch Französisch oder typisch Japanisch bezeichnen möchte: Tendentiell mag man da einer spannenden Wahrheit auf der Spur sein, aber irgendwelche blöden Ausnahmen stellen die neu entdeckte Regel immer zumindest in kleinen Teilen in Frage und rauben den Spaß am Entwerfen großer Theorien. Das ging auch Goethe schon so:

Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen, aber von Originalität, Erfindung, Charakter, Einheit und Ausführung eines Kunstwerks haben sie nicht den mindesten Begriff. Das heißt mit einem Worte: Sie haben keinen Geschmack.

(Bild: CC-BY Jörg Schubert)

Gekochte Aubergine als Gottesbeweis

Und wir bleiben in Japan. Also zumindest bei der japanischen Küche – und zwar mal wieder mit einer Restaurantkritik. Stevan Paul hat bei Nutriculinary eine Lobeshymne auf das Mittagsmenü im YOSHI by Nagaya in Düsseldorf geschrieben. Dabei prägt er mehrere sehr hübsche Formulierungen wie den „Gottesbeweis auf dem Teller“ als auch den „Julien Walther-Moment“.

Kurz überfällt mich Schwermut, als mir klar wird, dass ich eine japanische Küche dieser Güte zuhause nicht werde finden können, es ist mein kurzer „Julien Walther“- Moment, jenem dauer-grantelnden Privat-Restauranttester gewidmet, den online stets eine bemitleidenswerte Aura von tiefster Unzufriedenheit umweht, weil er ein paarmal zu oft so richtig, richtig, richtig gut essen war – und seitdem, immer wieder untröstlich und vergeblich, jenen Kick sucht. Ich vertreibe die trüben Gedanken, ich bin ja Koch, ich kann lernen!

Da es also einen Ausweg aus dem Schwermut zu geben scheint, seien meinen Leserinnen und Lesern noch möglichst viele Julien-Walther-Momente gewünscht. Während es gestern mit dem Dashi um alte, japanische Küchentraditionen ging, geht es diesmal eher um die japanische Küche der Zukunft. Denn der Koch Yoshizumi Nagaya ist berühmt dafür, die japanische Küche mutig weiterzudenken. Das gefällt nicht nur Paul gut.

(Bild: CC-BY-SA Ian Sommerville)

Ganze Taube mit Popcorn-Pulver

Gisela Reiners hat für die Welt ein schönes Portrait über Christian Scharrer geschrieben. Im Mittelpunkt steht ein Rezept des Sternekochs. Beim Etouffée Taube kombiniert er allerlei von der Taube mit einem Popcorn-Pulver. Für Letzteres kauft er tatsächlich gewöhnlichen Popcorn-Mais, poppt diesen in der Pfanne und zermahlt ihn dann zu feinem Pulver. Dabei ist Scharrer nicht nur großer Handwerker, sondern verbindet mit dem Gericht auch eine Nachhaltigkeits-Botschaft:

Warum überhaupt zwei Gänge aus dem einen Tier? Scharrer findet klare Worte: „Ich finde es unanständig, von einem Tier nur die als edel bezeichneten Teile zu verwenden, bei der Taube also die Brust. Soll man die Mägen, Keulen und anderes einfach wegwerfen? Außerdem erfordert die Zubereitung der Innereien und anderer Teile richtig gutes Handwerk. Da ginge also viel Wissen und Geschicklichkeit verloren.“

(Bild: CC-BY Esin Üstün)

Abschied von einem Jahrhundertkoch

Heute wird Bocuse um 10.30 Uhr in der Cathédrale Saint Jean in Lyon zu Grabe getragen. Dabei werden viele Trauergäste kein Schwarz tragen. Auf seinen Wunsch hin wurden alle Köche unter den Trauergästen gebeten, ihre weißen Kochjacken zu tragen. Mittlerweile finden sich auch in der Presse ein paar nennenswerte Texte zum traurigen Anlass. Rudolf Balmer erinnert in seinem schönen Nachruf in der taz daran, dass Bocuse erst Widerstandskämpfer gegen Nazi-Deutschland war, bevor er die gastronomische Welt eroberte. Im Stern beschreibt Küchenpromi Vincent Klink, wie Bocuse das Selbstverständnis von Köchen prägte und änderte. In der Süddeutschen Zeitung erzählt Patricia Bröhm unter anderem die schöne Anekdote, wie Bocuse sich damals für eine Herzoperation bedankt hatte. In seinem alten Hausblatt erscheint Jürgen Dollase nur als Interviewpartner. Auf Eat-Drink-Think schreibt er hingegen über verschiedene Treffen mit Bocuse und seine besondere Rolle in der französische Küche:

Bocuse stand an einer ganz wichtigen Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne. Er war derjenige, der wie kein zweiter Koch die traditionsverbundene französische Hochküche durch die Zeiten transportiert hat und für Klarheit und geschmackliche Präzision sorgte, als sie zu sehr in Richtung von großen Schautellern und unendlich viel Bastelei abdriftete.

Dazu passend ein besonders hübsches Zitat von Matthew Fort im Guardian:

Although Bocuse was associated in the early 1970s with the rise of nouvelle cuisine, he later dissociated himself from that movement, saying it represented “not enough on your plate and too much on your bill”.

(Bild: CC-BY thierry ehrmann)