Bocuse ist tot

Einer der großen Väter der französischen Nouvelle Cuisine ist Tot. Bocuse wurde nicht nur berühmt für seine regional inspirierte Kochkunst und seinen großzügigen Einsatz von Butter sondern auch für sein Marketing-Genie. Der Gault-Millau hatte ihn bereits Ende der 80er zum „Koch des Jahrhunderts“ erklärt. Dieses, sein Jahrhundert, hatte er nun längst überlebt. Ich werde in den nächsten Tagen die Augen offenhalten, ob es ein paar spannende Artikel zu Bocuses Erbe geben wird. Die eilig zusammengetackerten Nachrufe aktuell scheinen mir eher uninteressant, da ist Böhmermanns Tweet noch das geistreichste.

Spannend wird die Zukunft seines Restaurants. Denn der praktische Betrieb war schon lange nicht mehr auf den Meister angewiesen. Auf die Frage, wer denn koche, wenn er selbst gerade nicht da sei, sagte er: „Derselbe, der kocht, wenn ich da bin.“ Weiterleben werden auf jeden Fall die von ihm vertretenen Tugenden. Kaum eine Neueröffnung, die heute nicht behauptet, alles regional, saisonal und frisch vom Markt beziehen zu wollen. Diesen eigentlich extrem naheliegenden Ansatz hatte Bocuse einst in der Spitzengastronomie durchgesetzt und er gilt bis heute. Allein dafür gebührt ihm großer Dank.

Restaurant-Kritik aus der Lichtorgel

Heute empfehlen wir mal eine Restaurantkritik – und zwar eine ganz außergewöhnliche Restaurantkritik aus einem ganz außergewöhnlichen Restaurant. Julien Walther, der auf seinem Blog Trois Etoiles regelmäßig die Spitzenklasse aus dem Guide Michelin testet, war kürzlich im Ultraviolet. Dort, in Shanghai testet Küchenchef Paul Pairet ein besonderes Gastro-Konzept. Mit speziellen Projektoren wird der komplette Saal zur Leinwand. Vom Teller über die Tischdecke bis zu den Wänden ist das gesamte Restaurant teil einer komplexen Lichtinstallation. Diese wird thematisch passend zu jedem Gang gewechselt. Bei frittiertem Fisch plätschert britischer Regen, zu chinesischer Küche erscheinen fernöstliche Masken. Ein echtes Erlebnis für alle Sinnen.

„It’s not art“ sagt Pairet, als ich mich noch etwas mit ihm unterhalte, während die anderen Gäste langsam Platz nehmen. Nein, Kunst ist das hier alles nicht. Es ist Unterhaltung.

Ob sich das wirklich immer so leicht trennen lässt?

Walther schließt seine Besprechung auch nicht frei von Kunst mit einer Reflektion über die Generalisierbarkeit von Genuss ab. Ich zitiere die Überlegungen mit der Anmerkung, dass das vielleicht nicht nur für „psycho taste“ gelten mag, sondern für jeden Sinneseindruck:

Der von Pairet so bezeichnete „Psycho-Geschmack“ (psycho taste), mit dem er zum Ausdruck bringen möchte, dass es bei der Wahrnehmung von Essen viel um Emotionen geht, ist der Grundpfeiler dieses originellen ‒ und inzwischen auch kopierten ‒ Restaurantkonzepts. Hierzu kann ich feststellen, dass die Bilder und Töne durchaus inspirieren, aber eine fehlende Assoziation nicht ersetzen können. Am besten funktioniert dieses Konzept daher für Esser, die zu vielen Szenerien bereits Erlebnisse abrufen können. Mir ging das so, von Griechenland und Marseille über Monaco, Paris und London bis zu den spanischen Surrealisten: zu all diesen Themen habe ich meine eigenen Geschichten im Kopf. Das ist fast schon erschreckend. Haben alle Gäste heute wirklich dasselbe gesehen?

Wer bewegte Bilder braucht, um sich das alles besser vorstellen zu können, für den hat die New York Times ein spannendes Video über das Ultraviolet gedreht. „In a normal restaurant, the light has nothing to do with your dish.“

(Bild: CC BY-SA 2.0 Alan Wu)

 

Von der Spitzenküche in den Kindergarten

Diverse Medien haben die Tage Klaus Peters dpa-Geschichte über den Koch Alexander Eckardt geteilt. Der hatte im Potsdamer Gourmet-Restaurant Juliette gelernt und stand danach unter anderem im Edelkaufhaus Galeries Lafayette in Berlin am Herd. Letzten Juli hat er sich radikal umorientiert und kocht seitdem in einer Kita.

Früher dauerte der Arbeitstag bis in die frühen Morgenstunden, nun hat Eckardt nachmittags ab 16 Uhr frei. Dafür nimmt der Spitzenkoch erheblich weniger Gehalt in Kauf, hat aber nicht unbedingt weniger Stress.

Dazu passend ist diese etwas ältere Meldung über den Sternekoch Tristan Brandt, der ein ganzes Lokal für Kinder plant.

«Ich fürchte nämlich, dass irgendwann kaum mehr jemand vom Nachwuchs kochen kann», sagte Brandt, der im «Guide Michelin 2017» mit zwei Sternen ausgezeichnet ist. Als Koch sehe er sich in der Pflicht, dem Nachwuchs die gesunde Ernährung näher zu bringen.

(Bild: Eine sowjetische Kindergartengruppe in den 1960er Jahren, CC BY-SA 2.0 Copper Kettle)

Michelin – Geschichten aus der Sterneküche

Bis Ende des Monats gibt es in der arte-Mediathek noch die großartige Dokumentation „Michelin – Geschichten aus der Sterneküche“ von Rasmus Dinesen, der in weniger als einer Stunde fast alles abgrast, was allgemein zum wichtigsten Restaurantführer der Welt zu sagen wäre. Die Geschichte, die Kriterien, die Tester, die Kritik, die außergewöhnlichen Arbeitsbedingungen in der Sterneküche, die menschlichen Tragödien, die globalen Unterschiede, alles ist irgendwie dabei und wenn auch nicht jeder Gedanke sinnbringend abgeschlossen wird, so ist er doch in jedem Fall von Kyoto bis Manhattan wundervoll gefilmt.

Das Noma kommt genau so vor, wie alte französische Meister und auch die Episode darüber, was passiert, wenn der Guide sich aus einem Land wieder zurückzieht, ist spannend. Am Ende ist das Etikett „Drei Sterne“ eben doch nie ein objektives, sondern abhängig von verschiedensten Konstellationen. Dafür gebührt Rasmus Dinesen großer Dank.

Etwas kurios mutet die eingestreute Verschwörungstheorie an, nach der es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl verkaufter Michelin-Reifen in einem Land, und dort verteilter Sterne geben soll. Das scheint doch leicht widerlegbarer Quatsch zu sein. Aber eigentlich ist so was bei arte-Dokus ja auch standard. Um so peinlicher deshalb die Episode, mit der im großen und ganzen soliden Antisemitismus-Doku, die damals wegen angeblicher Qualitätsmängel nicht ausgestrahlt wurde. Aber wir schweifen ab. Wie das eben so ist, mit arte.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Manel)

 

Frauen an den Herd?

Petra Kaminsky hat für Nikos Weinwelten einen sehr lesenswerten, langen Text zum Thema Frauen in der Gastronomie geschrieben.

Die Testesser des Michelin-Führers kürten in der Deutschlandausgabe für 2018 insgesamt 300 Häuser mit den begehrten Sternen. In nur zehn davon hat eine Küchenchefin das Sagen. Keine davon erreichte die Höchstnote von drei Sternen. Nur eine, Douce Steiner aus dem Schwarzwald, bekam zwei.

Kaminsky stellt nicht nur einige der wenigen Frauen vor, die es trotzdem geschafft haben, sondern begibt sich auch auf die Suche nach den strukturellen Hindernissen und biographischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern und in der gastronomischen Ausbildung. Wenn das Patriarchat Frauen zurück an den Herd wünscht, scheint es damit nur jene Herde zu meinen, an denen frau kein Geld verdienen kann. Sobald mit der gastronomischen Tätigkeit Geld und Ruhm verdient werden kann, ist es wieder Männersache. Schade eigentlich.

(Bild: CC BY 2.0 Denis Bocquet)

In manchen Fällen Kunst

Der Spiegel hat ein sehr lesenswertes Interview mit Harald Wohlfahrt, einem der ganz wenigen Köche Deutschlands, die es zu drei Sternen im Guide Michelin geschafft haben. Zwischendrin geht es viel um den Streit in der Schwarzwaldstube. Wohlfahrt hatte das unscheinbare Hotelrestaurant 37 Jahre lang bis in die Champions League hinaufgekocht, und ging nun jedoch im Streit. Interessant wird es, wenn er auf die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung zu sprechen kommt. Sterneköche sind vielleicht die am härtesten arbeitenden und dafür am schlechtesten bezahlten Künstler der Welt.

Wobei, ob das zwingend alles Kunst ist, darauf hat Wohlfahrt in dem Interview auch eine schöne Antwort:

Kochen ist zunächst Handwerk, und in manchen Fällen kommt Kunst heraus. Ich hatte Esserlebnisse, die so prägend waren, dass sie mir bis zur Stunde im Gedächtnis geblieben sind. Ich erinnere mich an einen Besuch beim Sternekoch Joël Robuchon in Paris, 35 Jahre ist das her, es gab Perigord-Trüffel auf einem Zwiebelragout mit Speck, ein puristisches Gericht, aber mit einem Duft, einem Ausdruck und einer Wildheit, dass es mir neue Türen aufgestoßen hat. Ich dachte nur: Was ist da los auf deinem Teller?!

(Bild: CC BY-NC-ND 2.0 KrisNM; Das Bild ist, wie Harald Wohlfahrt auch, aus dem Schwarzwald)

 

Der Straßenstand mit Michelin-Stern

In Bangkok gibt es zur Zeit Streit um die Garküchen. Die Stadtherren möchten dem Wildwuchs an Street Food, für den Thailands Hauptstadt so bekannt ist, streng regulieren. Willi Germund berichtet in der Frankfurter Rundschau nun über Tante Fai, die für ihren Essens-Stand jetzt sogar einen Michelin-Stern verliehen bekommen hat.

Jedes Kind weiß in Thailand: Das Geheimnis der Speisen liegt in der Zubereitung der Saucen. Jedes Gewürz, jedes Gemüse und jede Zutat müssen absolut frisch sein. Das beherzigt selbstverständlich auch Tante Fai. So sehr sie von ihren Kunden für ihre Kochkünste geschätzt wird, so sehr fürchten sich die Markthändler vor ihr. Denn Jae Fai spürt jeden Fehler auf und lässt sich beim Einkaufen nie in die Irre führen.

Ob die Auszeichnung Fais den bedrohten Garküchen Bangkoks nutzt, ist jedoch unwahrscheinlich. Germund führt aus, dass hier doch eine ganz besondere Institution geehrt wurde, die allein schon preislich weit über dem gängigen Street-Food-Niveau der Stadt liegt. So habe Frau Fai die neuen Regulierungen auch nicht zu fürchten und ist vielleicht eher Prototyp der kommenden Street-Food-Kultur der thailändischen Hauptstadt – sauber, edel, teuer.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Roberto Trombetta)