Systemgastronomie mit drei Sternen

Als ich vor kurzem in London war, hat mich eines besonders überrascht: Es gibt dort in jeder Ecke Systemgastronomie. Und damit meine ich nicht nur McDonalds und Co. Von Pret a Manger über Jamie’s Italian, las Iguanas, wagamama, ping pong und Prezzo bis hin zum L’Atelier de Joël Robuchon gibt es auf der Insel viel mehr Ketten, auch in gehobeneren Segmenten, die nach Schema F Innenstädte beleben und versorgen. Im Vergleich dazu ist Festland-Europa noch Systemgastronomie-Entwicklungsland. Man mag darüber streiten, ob das nun Fluch oder Segen sei. Der traditionelle, deutsche Feinschmecker verteidigt natürlich den inhabergeführten Feinschmeckertempel ohne Franchise oder Tochter-Unternehmen, aber der ist nicht unbedingt wirtschaftlich durchhaltbar und nicht jede Ökonomisierung des Betriebes muss auch eine Verschlechterung der Produkte bedeuten.

Nur eines fehlt in London bisher: Systemgastronomie mit drei Sternen. Das Atelier de Joël Robuchon in London hat es zwar mit einem Stern in den Guide geschafft, drei Sterne bei Michelin hat aber nur die Dependance in Hong Kong. Dort war Julien Walther kürzlich zu Gast, und wie das bei ihm üblich ist, hat er hinterher eine schöne Kritik geschrieben. Sein Urteil: Systemgastronomie muss mit McDonalds gar nichts zu tun haben.

Die Ateliers stehen wegen ihres Systemgastronomie-Charakters bei einigen in der Kritik. Doch was bedeutet das schon? Nur, weil eine globale Kette zentral gemanagt wird, ist das kein Nachteil für den Gast. Im Gegenteil. Ich liebe im Fall der Ateliers die Konformität und das Bekannte. Die Küchen sind offen, die Küchenchefs sind hervorragende, gewissenhaft arbeitende Spitzenköche, und die exzellenten Produkte profitieren von den vor Ort jeweils möglichen Bezugsquellen.

(Foto: Original: Bogomil Mihaylov on Unsplash/Bearbeitung: Tatar und Theorie)

„Mit drei Sternen lässt sich nicht viel Geld verdienen“

…zumindest in Deutschland. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung bestätigt Eckart Witzigmann mal wieder eine allgemeine Weisheit, die es zuletzt immer schwieriger hat: Das ökonomisch beste Modell ist nicht gleichzeitig das allgemein beste Modell. Er berichtet davon, dass sich ein Drei-Sterne-Betrieb finanziell kaum lohne. Deshalb seien die meisten dieser Betriebe auch Teil eines Hotels. Dann müssen die Übernachtungsgäste den Gourmet-Betrieb quer finanzieren (Eine andere populäre Variante ist das günstigere Zweitrestaurant). Dabei verschweigt er nicht, dass der Sterne-Betrieb in Deutschland noch besonders preiswert sei.

Im internationalen Vergleich sind die deutschen Häuser dieser Klasse ausgesprochen preiswert, in London, Paris oder New York ist die gleiche Leistung locker 60 bis 80 Prozent teurer. Aber trotzdem ausgebucht.

Als Gastronom sieht er selbst diese deutsche Sparsamkeit natürlich etwas kritischer. Begeistert zeigt er sich dagegen vom Nova Regio Trend und erinnert an eine Zeit, als die deutschen Feinschmecker mit den Delikatessen aus dem unmittelbaren Umland so gar nichts anfangen konnten. O tempora, o mores!

Ich habe bereits vor 40 Jahren versucht, Erzeuger und Produzenten vor meiner Haustüre zu finden und nicht alles von weit her kommen zu lassen. Nur haben damals die Leute die Nase gerümpft, als ich ihnen Flusskrebse oder Fische aus dem Chiemsee serviert habe. Es musste ja Hummer oder Steinbutt sein.

(Foto: Sara Kurfeß on Unsplash)

Restaurant-Kritik aus der Lichtorgel

Heute empfehlen wir mal eine Restaurantkritik – und zwar eine ganz außergewöhnliche Restaurantkritik aus einem ganz außergewöhnlichen Restaurant. Julien Walther, der auf seinem Blog Trois Etoiles regelmäßig die Spitzenklasse aus dem Guide Michelin testet, war kürzlich im Ultraviolet. Dort, in Shanghai testet Küchenchef Paul Pairet ein besonderes Gastro-Konzept. Mit speziellen Projektoren wird der komplette Saal zur Leinwand. Vom Teller über die Tischdecke bis zu den Wänden ist das gesamte Restaurant teil einer komplexen Lichtinstallation. Diese wird thematisch passend zu jedem Gang gewechselt. Bei frittiertem Fisch plätschert britischer Regen, zu chinesischer Küche erscheinen fernöstliche Masken. Ein echtes Erlebnis für alle Sinnen.

„It’s not art“ sagt Pairet, als ich mich noch etwas mit ihm unterhalte, während die anderen Gäste langsam Platz nehmen. Nein, Kunst ist das hier alles nicht. Es ist Unterhaltung.

Ob sich das wirklich immer so leicht trennen lässt?

Walther schließt seine Besprechung auch nicht frei von Kunst mit einer Reflektion über die Generalisierbarkeit von Genuss ab. Ich zitiere die Überlegungen mit der Anmerkung, dass das vielleicht nicht nur für „psycho taste“ gelten mag, sondern für jeden Sinneseindruck:

Der von Pairet so bezeichnete „Psycho-Geschmack“ (psycho taste), mit dem er zum Ausdruck bringen möchte, dass es bei der Wahrnehmung von Essen viel um Emotionen geht, ist der Grundpfeiler dieses originellen ‒ und inzwischen auch kopierten ‒ Restaurantkonzepts. Hierzu kann ich feststellen, dass die Bilder und Töne durchaus inspirieren, aber eine fehlende Assoziation nicht ersetzen können. Am besten funktioniert dieses Konzept daher für Esser, die zu vielen Szenerien bereits Erlebnisse abrufen können. Mir ging das so, von Griechenland und Marseille über Monaco, Paris und London bis zu den spanischen Surrealisten: zu all diesen Themen habe ich meine eigenen Geschichten im Kopf. Das ist fast schon erschreckend. Haben alle Gäste heute wirklich dasselbe gesehen?

Wer bewegte Bilder braucht, um sich das alles besser vorstellen zu können, für den hat die New York Times ein spannendes Video über das Ultraviolet gedreht. „In a normal restaurant, the light has nothing to do with your dish.“

(Bild: CC BY-SA 2.0 Alan Wu)

 

Michelin – Geschichten aus der Sterneküche

Bis Ende des Monats gibt es in der arte-Mediathek noch die großartige Dokumentation „Michelin – Geschichten aus der Sterneküche“ von Rasmus Dinesen, der in weniger als einer Stunde fast alles abgrast, was allgemein zum wichtigsten Restaurantführer der Welt zu sagen wäre. Die Geschichte, die Kriterien, die Tester, die Kritik, die außergewöhnlichen Arbeitsbedingungen in der Sterneküche, die menschlichen Tragödien, die globalen Unterschiede, alles ist irgendwie dabei und wenn auch nicht jeder Gedanke sinnbringend abgeschlossen wird, so ist er doch in jedem Fall von Kyoto bis Manhattan wundervoll gefilmt.

Das Noma kommt genau so vor, wie alte französische Meister und auch die Episode darüber, was passiert, wenn der Guide sich aus einem Land wieder zurückzieht, ist spannend. Am Ende ist das Etikett „Drei Sterne“ eben doch nie ein objektives, sondern abhängig von verschiedensten Konstellationen. Dafür gebührt Rasmus Dinesen großer Dank.

Etwas kurios mutet die eingestreute Verschwörungstheorie an, nach der es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl verkaufter Michelin-Reifen in einem Land, und dort verteilter Sterne geben soll. Das scheint doch leicht widerlegbarer Quatsch zu sein. Aber eigentlich ist so was bei arte-Dokus ja auch standard. Um so peinlicher deshalb die Episode, mit der im großen und ganzen soliden Antisemitismus-Doku, die damals wegen angeblicher Qualitätsmängel nicht ausgestrahlt wurde. Aber wir schweifen ab. Wie das eben so ist, mit arte.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Manel)

 

In manchen Fällen Kunst

Der Spiegel hat ein sehr lesenswertes Interview mit Harald Wohlfahrt, einem der ganz wenigen Köche Deutschlands, die es zu drei Sternen im Guide Michelin geschafft haben. Zwischendrin geht es viel um den Streit in der Schwarzwaldstube. Wohlfahrt hatte das unscheinbare Hotelrestaurant 37 Jahre lang bis in die Champions League hinaufgekocht, und ging nun jedoch im Streit. Interessant wird es, wenn er auf die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung zu sprechen kommt. Sterneköche sind vielleicht die am härtesten arbeitenden und dafür am schlechtesten bezahlten Künstler der Welt.

Wobei, ob das zwingend alles Kunst ist, darauf hat Wohlfahrt in dem Interview auch eine schöne Antwort:

Kochen ist zunächst Handwerk, und in manchen Fällen kommt Kunst heraus. Ich hatte Esserlebnisse, die so prägend waren, dass sie mir bis zur Stunde im Gedächtnis geblieben sind. Ich erinnere mich an einen Besuch beim Sternekoch Joël Robuchon in Paris, 35 Jahre ist das her, es gab Perigord-Trüffel auf einem Zwiebelragout mit Speck, ein puristisches Gericht, aber mit einem Duft, einem Ausdruck und einer Wildheit, dass es mir neue Türen aufgestoßen hat. Ich dachte nur: Was ist da los auf deinem Teller?!

(Bild: CC BY-NC-ND 2.0 KrisNM; Das Bild ist, wie Harald Wohlfahrt auch, aus dem Schwarzwald)