Street Food bis zum Sozialismus?

Die linke Wochenzeitung Jungle World aus Berlin streitet Pro-Contra über das Street Food. Während Jan Stich den Food Truck als Vehikel auf dem Weg zum Sozialismus beschreibt, ist Federica Matteoni da deutlich kritischer.

Die Streetfood-Revolution muss sich bald etwas Neues ein­fallen lassen. Oder sie wird von ihren Kindern gefressen.

Oder blitzt zwischen den Buletten eines Burgerbraters doch die klassenlose Gesellschaft hervor?

Die Hierarchie von Koch und Kellner, von Gast und Gast­geber ist Feudalismus pur. Erst am Food Truck müssen Produzent und Konsument beide stehen. Beide Parteien haben mächtige Hebel: Ich muss deinen Veggie-Burger nicht kaufen, aber du kannst mit deinem Wagen morgen einfach ganz woanders hinfahren.

Auf jeden Fall mal zwei nette Gegen-Perspektiven zum allgemein Start-Up-Foodie-Truckie-Hype.

(Foto: TJ Dragotta on Unsplash)

Die Russen kommen – und sie bringen Pfannkuchen

Ich dachte, Chip.de sei ein Portal für Computer und Technik. Aber wohl nicht nur, denn dort berichtet Inga Methling über die russische Fast-Food-Kette Teremok. Die setzt nicht auf Burger und Fritten, sondern auf traditionelle Snacks, wie Blini und Pelmeni, und ist damit zumindest in Russland ein großer Hit. Über 300 Filialen gibt es und 2013 konnte ein Umsatz in Höhe von 170,2 Mio US-Dollar erwirtschaftet werden – dafür muss man einige Pfannkuchen backen. Jetzt plant der Chef und Gründer Michail Gontscharow auch den Sprung nach Deutschland. Dawaj! Dawaj!

Auf der Karte stehen russische Pfannkuchen (Blini), mit Fleisch gefüllte Teigtaschen (Pelmeni) und als Nachspeise Klöße aus Quarkteig (Syrniki). Der Koch bereitet alles frisch zu – wie bei Oma („Babuschka“) zu Hause. Teremok ist quasi ein modernes Schnellrestaurant mit traditioneller Küche.

Das ist vielleicht nicht nur für Fast Food Fans interessant. Schon 2016 kündigte Lorraine Haist in der Welt an, Moskau mit seiner traditionellen Küche, sei für Foodies das nächste große Ding. Bisher scheint die Prophezeiung noch nicht eingetroffen. Foodies rocken wie Neil Young vielleicht auch lieber in der freien Welt. Aber was Haist über die neue Esskultur rund um traditionelle Delikatessen schreibt, ist trotzdem sehr spannend. Vieles erinnert an die New Nordic Cuisine, nur eben ein paar Längengrade weiter östlich:

Was der 33-Jährige beim Tastingmenü in seinem gerade eröffneten „Lab“, einer Mischung aus hochmoderner Testküche und „Chef’s Table“ auf die Edelstahltheke stellt, ist gleichzeitig ein Crashkurs in russischer Warenkunde: Pferdefleisch, ein Parfait von der Schwanenleber im Marshmallow-Mantel, ein Brötchen aus Birkenrinden-Mehl, serviert mit cremiger Butter aus der Stadt Wologda, in der traditionellen Schwarzbrotlimonade Kwas gegarte Rippchen.

(Bild: CC-BY-SA Alexey Ivanov)

Fast Food feuert das Immunsystem an

Unerhört, was der bayerische Rundfunk da jüngst in seinem Wissens-Programm verkündete: Fastfood macht das Immunsystem langfristig aggressiver. Das klingt erstmal gar nicht so negativ. Ein aggressives Immunsystem, mag der Laie denken, bekämpft sicher auch aggressiv und effizient die Krankheiten. In der Realität ist die Geschichte jedoch komplizierter. Denn wie so oft bei Aggression: Ein aggressives Immunsystem neigt zu Überreaktionen und führt zu Entzündungen, die ein normales Immunsystem vermieden hätte.

Die Wissenschaftler haben vier Wochen lang Mäuse mit viel Fett, viel Zucker und wenigen Ballaststoffen gefüttert. Ihr Körper reagierte darauf mit massiven körperweiten Entzündungen, fast so, als hätten sie sich mit gefährlichen Bakterien infiziert. Als die Tiere daraufhin vier Wochen lang artgerechte Getreidekost erhielten, verschwanden die Entzündungen. Allerdings: Auch nach der Ernährungsumstellung waren immer noch viele Erbanlagen aktiv, die während der Fastfoodzeit aktiviert wurden. Die genetische Reprogrammierung der Immunzellen blieb also bestehen.

(Foto: CC-BY chichacha)

Die linke Döner-Debatte

Was war das für eine traurige Posse, letzten Sommer, als der Boulevard eine Diskussion im Europäischen Parlament über mögliche Gesundheitschäden von Phosphat so böswillig uminterpretierte, als wollten herzlose Bürokraten aus Brüssel den armen Menschen ihren Döner verbieten. Die linke Wochenzeitung Jungle World hat das einzig richtige gemacht, und über den albernen Boulevard-Streit gleich größenwahnsinnig die große Systemfrage gestellt: Döner Ja oder Nein.

Auf der Pro-Seite vermutete Ralf Balke hinter der Verbotsdebatte einen deutschen Zwangscharakter. Hinter dem vorgezogenen Argument der Volksgesundheit – denn es wurde nur über Döner, jedoch nicht über Bratwurst gesprochen, verberge sich eine fremdenfeindliche Ablehnung der orientalischen Spezialität kombiniert mit zwanghaften Vorstellungen von Sauberkeit und Hygiene.

Wer also dem Döner das Existenzrecht entziehen will, hat vor allem eines: pathologische Vorstellungen von Reinheit und Volkshygiene.

Nicht weniger theoretisch hochtrabend sind die Gegenargumente von Jan Stich. Der kritisiert einerseits die in der Regel mäßige Qualität des Döners, wie er in Deutschland serviert wird und hält diesen andererseits, im Kontrast zu Balke, für sehr vereinbar mit Fremdenfeindlichkeit. Dazu verweist auf die über ein Jahrhundert bestehende, militärische Kooperation zwischen Berlin und Bosporus.

Döner Kebab bedeutet Mittelmaß für die Massen statt Austern für alle. Das ist nicht das gute Leben. Das ist Food-Fordismus, Fließbandfutter, kulinarische Kulturindustrie.

In dem Kontext auf jeden Fall auch spannend ist ein taz-Artikel von Philipp Mausshardt aus dem letzten Frühjahr. Der erinnert zuerst daran, dass viele Gerichte ihren Ursprung in Kriegszeiten hatten und leitet davon ab, dass die friedliche Entwicklung und Ausbreitung zwischen Ankara und Berlin ein allgemein nachahmenswertes Beispiel für Völkerverständigung ist.

Man muss in der heutigen Aufregung deshalb schon froh darüber sein, dass der Döner ganz friedlich seinen Weg nach Mitteleuropa gefunden hat. Anstatt sich zu massakrieren, hätten sich die Migranten früherer Zeiten und die einheimische Bevölkerung besser auch schon um eine friedliche Integration bemühen sollen, den Austausch von Rezepten selbstverständlich mit einbezogen.

Da soll mal einer sagen, Döner sei langweilig. Mit ausreichend professioneller Deformation und genug Semestern Geistes- und Sozialwissenschaften kann man selbst über türkisches Grillfleisch weltanschauliche Debatten führen. Und dabei haben wir die Frage nach den ethischen Schwierigkeiten des Fleischkonsums noch nicht mal angeschnitten.

(Bild: CC-BY A of DooM)

Das M glänzt wieder golden

Irgendwie ja auch passend zum Tode Bocuses: Nachdem man zwischendurch dachte, Fast Food sei bei der nachwachsenden Generation Out, freut man sich bei McDonalds dieser Tage wieder über schwarze Zahlen und satte Gewinne. So schreibt Thomas Klemm für die FAZ, wohlgemerkt im Finanzteil und nicht im Feuilleton:

Der Konzern hat sich dem Zeitgeist halb angepasst, halb widersetzt und damit vollen Erfolg gehabt. So ist McDonald’s ein Comeback gelungen, das dem Unternehmen kaum jemand zugetraut hätte. Nachdem es noch vor drei Jahren so aussah, als ob billige Burger und fettige Fritten dem Trend zur bewussten Ernährung nicht standhalten können, stellt sich die Lage heute anders dar: Die Nachfrage nach einer Mahlzeit, die schnell und günstig zu haben ist, bleibt hoch und steigt sogar vielerorts.

Spannend zu dem Thema ist vielleicht noch diese Bloomberg-Analyse, die argumentiert, steigende Lebensmittelpreise seien für McDonalds eine gute Entwicklung, weil so das Selberkochen in Relation zum Fast Food unattraktiver wird – wie sympathisch.

(Bild: CC BY-NC-ND 2.0 Tasha Metamorfosis)

Rettet die Gastronomie den Einzelhandel?

Von spannenden Entwicklungen weiß Michael Gassmann in der Welt zu berichten. Im Kampf gegen Amazon und Co scheint die Gastronomie in Shopping-Arealen eine ganz neue Wertigkeit zu bekommen. Da der Einzelhandel mit der Online-Konkurrenz immer schlechter konkurrieren kann, braucht es neue Argumente, um die lauffaule Kundschaft in die Einkaufszentren zu bekommen. Der Verweis auf den Pionier aus Schweden verrät aber auch gleich, dass damit keine gastronomische Qualitätsinitiative zu erwarten ist, eher die flächendeckende Versorgung mit akzeptablem Angebot zu ökonomischen Preisen – und das ist ja auch nicht schlimm.

Während Ikea die Kunden schon immer mit Köttbullar und Gratiskaffee bei Laune gehalten hat und dafür von manchen belächelt wurde, rollt die Gastro-Welle jetzt auf breiter Front im Einzelhandel an. Gastronomie könnte der Schlüssel zur Problemlösung für eine Branche werden, die in Zeiten des Online-Booms verzweifelt nach Möglichkeiten sucht, ihre viel zu großen Verkaufsflächen sinnvoll und profitabel zu nutzen.

Weil große gesellschaftliche Trends oft ja doch langsamer verlaufen, als man glaubt: Die Wurzeln der Food Courts in Shopping Malls liegen in den frühen Siebziger Jahren. Damals ging es in Kanada und den USA los. Ikea hat mit den Köttbullar, laut Unternehmenswebsite, sogar schon in den 50er Jahren angefangen. Und auch die Welt hatte schon früher über das Thema berichtet. god aptit!

(Foto: CC BY 2.0 Gaulsstin)

Erwartung vs Realität

Das mit den Produktfotografien auf Speisekarten ist ja meist so eine Sache. Die Dönerbude meiner Jugend hatte so schlampig geschossene Fotografien über der Theke hängen, dass die echten Teller um Welten besser aussahen. Oft ist es aber eher andersrum, und das servierte Essen hat Probleme, mit der professionellen Studiofotografie mitzuhalten.

Der Reddit-Nutzer DoktorvonKvantum hat das obige Beispiel aus Japan gefunden, bei dem Speisekartenbild und Teller sich verdächtig ähneln. In dem Thread berichten einige Nutzer, dass das wohl teilweise Vorgaben in der Gastronomie seien. In Japan gibt es ergänzend zur Speisekarte oft auch Plastikmodelle der Speisen, die in Schaufenstern ausliegen, um den Kunden ins Restaurant zu locken. Die Japan Times hat einen spannenden Artikel zum Thema.

Journalist Yasunobu Nose has a theory that links the plastic replicas to the visual aesthetic of Japanese food appreciation. In his book titled “Me de taberu Nihonjin (Japanese People Eat With Their Eyes),” Nose writes that food samples are part of the Japanese tendency to “first ‘taste’ dishes by sight, then eat with their mouths and stomachs.”

Das Auge scheint in Japan noch ein bisschen mehr mit zu essen als bei uns. Wobei, beim Thema Fast Food spielen Ost und West wohl in derselben Liga:

Japan Expectation Reality

Werbeverbote helfen gegen Fast Food

Die kanadische Provinz Quebec hat 1980 ein Gesetz eingeführt, welches Fernsehwerbung für Kinder in Programmen verbietet, die von Kindern geguckt werden. Das erste Ergebnis dieser Maßnahme war eine drollige Rotation der Anzeigenformate.

Under the three-decades-old Quebec Consumer Protection Act, television shows with an audience made up of at least 15 per cent of kids cannot air child-targeted ads. Instead, ads for cars or dishwasher detergent are aired during Saturday morning cartoons while adult-friendly programmed is usually paired with toy ads.

Etwas spannender ist jedoch eine Studie, über die das kanadische Nachrichtenunternehmen Global News 2012 berichtet hatte. Nach dreißig Jahren scheint das Gesetz, welches auch Spielzeugwerbung betrifft, einen deutlichen Einfluss auf die Gesundheit von Kindern zu haben.

After sifting through the StatsCan data to compare the spending and eating habits of households in Quebec and Ontario, where the ban wasn’t in affect, the study suggested that the ban cut money spent on fast food in Quebec by 13 per cent per week. Dhar and Bayles estimated that the steep cut in expenses meant a decrease of 11 million to 22 million fast food meals eaten per year, or 2.2 billion to 4.4 billion fewer calories consumed by kids.

Die Autoren der Studie verweisen auch darauf, dass Fast-Food-Unternehmen sich gezielt an Kinder richten, um eine lebenslange Beziehung zur Marke zu starten. Langfristig hilft ein solch spezialisiertes Werbeverbot anscheinend nicht nur den Kindern, sondern auch den späteren Erwachsenen, sich besser zu ernähren. Das ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch den Gaumen. Verfälschte Aromen, übertriebene Würzen und schlechte Produkte sind besonders im Fast Food die Regel. In Deutschland scheinen höchstens die Grünen ähnliche Regelungen zu fordern.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Daremoshiranai)

 

Fast Food, Faster Food, Fastest Food

Wer lesen möchte, wie weit die ökonomische Optimierung eines Restaurantbetriebes auch außerhalb von Burgerbratereien mittlerweile fortgeschritten ist, dem sei dieser Artikel über die Berliner Szene-Kantine Beets & Roots empfohlen.

Die Inneneinrichtung habe man nicht zu gemütlich machen wollen. „Die durchschnittliche Verweildauer des Gastes ist bei uns dadurch geringer als im klassischen Full-Service-Restaurant“

Aus ökomomischer und sozialer Sicht mag es sicher begrüßenswert sein, wenn die Versorgung mit gutem und gesundem Essen so optimiert wird, dass man möglichst günstig möglichst viel davon an die Leute bringen kann. Für Freunde klassischer Genusskultur klingt es jedoch irgendwie gruselig. Aber die Konkurrenz für solche Läden ist wohl auch nicht das Drei-Gänge-Lunch im schicken Hotel-Restaurant, sondern im Zweifel Kebab und Burger. Da ist der absichtlich unbequeme Szene-Schuppen ja quasi schon ein Upgrade. Es bleibt kompliziert.

(Bild: CC BY-NC-ND 2.0 Tasha Metamorfosis)