Die deutsche Küche war lange Zeit ein Ödland, welches niemand zu beackern wagte, der ernsthaft Gastronomie betreiben wollte. Unter solchen Schlagwörtern wie Nova Regio oder Neue Deutsche Küche findet langsam eine Wiederentdeckung traditioneller Gerichte und Zubereitungstechniken aus früherer Zeit statt. Doch auch in den Jahrzehnten der Missachtung teutonischer Traditionen haben sich wiederum ganz neue, deutsche Eigenheiten herausgebildet. Julien Walther nimmt seine jüngste Kritik von Nils Henkels neuem Restaurant auf Burg Schwarzenstein zum Anlass, etwas über diese spezielle deutsche Sterneküche zu sinnieren.
Die deutsche Spitzenküche glänzt regelmäßig ‒ und auch hier ‒ mit präzisem Handwerk. Dieses Können stellt man gerne visuell zur Schau, wobei es hierbei nicht selten vorkommt, dass Attribute wie herausragende Produkte, Authentizität, Schlichtheit und Harmonie in den Hintergrund rücken. Ein objektiv hervorragendes Essen muss diese Attribute natürlich nicht alle als Leitmotiv haben, doch wenn auf viele davon verzichtet wird, müssen weitere Dinge wie Innovation oder Geschmacksbilder umso überragender sein.
Zumindest in einem anderne Punkt, einem bieder gediegenen Einrichtungsstil, den Walther als „sachliche Eleganz“ in zahlreichen Grautönen beschreibt, erntet er in den Kommentaren jedoch direkt Widerspruch. Dieser sei auch außerhalb der BRD-Grenzen nicht unpopulär, kommentiert ein User mit dem Namen Philipp:
Das Interieur ist keine rein deutsche Sache. Ich habe beim Foto direkt an folgende drei Restaurants gedacht (bei viel mehr als 5 Dreisternern war ich noch nicht zu Besuch, also kann es noch viel mehr sein): Vendôme, Pre Catelan Paris, Alain Ducasse at the Dorchester. Das auf eine Nationalität zu begrenzen trifft die Sache nicht ganz.
So ist es wohl wie so oft mit Dingen, die man gern als typisch Deutsch, typisch Französisch oder typisch Japanisch bezeichnen möchte: Tendentiell mag man da einer spannenden Wahrheit auf der Spur sein, aber irgendwelche blöden Ausnahmen stellen die neu entdeckte Regel immer zumindest in kleinen Teilen in Frage und rauben den Spaß am Entwerfen großer Theorien. Das ging auch Goethe schon so:
Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen, aber von Originalität, Erfindung, Charakter, Einheit und Ausführung eines Kunstwerks haben sie nicht den mindesten Begriff. Das heißt mit einem Worte: Sie haben keinen Geschmack.
(Bild: CC-BY Jörg Schubert)