Dollases Stiftung Restaurantkritik

Der König der deutschen Gastrokritik, Jürgen Dollase, hatte sich vor dem Erscheinen des neuen Gault Millau ein paar Gedanken darüber gemacht, wie ein optimaler Restaurantführer ausfallen müsste. Typisch für Dollase ist das Gedankenspiel nicht gerade klein.

Ein optimiert arbeitender Führer muss sodann ein neues Konzept der kulinarischen Kommunikation verfolgen, bei dem es weniger – wie heute oft zu finden – darum geht, eine bestimmte, bevorzugte Klientel zu bedienen, als darum, alle Restaurants gleich welcher Stilistik mit dem dazu passenden Publikum zusammenzubringen. Dazu wird es nicht nur nötig sein, eine sachliche Sprache zu finden, die in der Lage ist, jede Form von Küche zu beschreiben, sondern auch den Willen und das Vermögen zu haben, jeden Küchenstil nachvollziehbar zu analysieren und zu beschreiben.

Das spannendste an Dollases Utopie sind die Grundsätze, die er zur Beurteilung von Kochkunst benennt:

Im Mittelpunkt der Arbeit des Restaurantkritikers steht das Verstehen dessen, was in einem Restaurant gemacht wird. Schon diese scheinbar einfache Forderung steht in einem beträchtlichen Gegensatz zu dem, was heute üblicherweise gemacht wird. Ein möglichst genaues Verstehen kann als Grundlage nur so viel Wissen wie eben möglich haben. Auch das können wir heute oft nicht beobachten. Erst nach dem Verstehen von Details und Zusammenhängen kann es an eine Einordnung gehen, wobei diese zuerst eine stilistische und/oder gastronomische sein sollte. Den Abschluss bildet nicht etwa eine Wertung, sondern eine Empfehlung, die transparent macht, welche Gäste sich aus welchen Gründen für eine solche Küche interessieren könnten. Eine Wertung in Form einer Hierarchisierung der Leistungen steht – wenn überhaupt – erst am Schluss der Analysen.

Typisch für Dollase denkt er hier sehr stark an die Produzenten und die Produkte, denen sein Urteil gerecht werden will.  Wie bei allen Versuchen eines wissenschaftlichen Bemühens um Objektivität üblich, wird dabei der Unterhaltungswert zu Gunsten eines Erkenntnisgewinnes hinten angestellt. Allerdings sind Restaurantkritiken bisher fester Bestandteil der Magazin- und Feuilletonkultur. Sie werden in der Regel von den Lesern am Kiosk finanziert. Für diese sind aber gerade die von Dollase gering geschätzten Wertungen besonders interessant. Weil Gastronomiekritiken aktuell eben nicht die Unabhängigkeit haben, die Dollases Stiftungsideal ihnen ermöglichen würde, müssen sie unterhalten und auch jene Leser ansprechen, die an einem wissenschaftlichen Werturteil über ein bestimmtes Restaurant, in das sie vielleicht nie gehen würden, gar nicht interessiert sind. Das sind wohlgemerkt alles keine Argumente gegen die Stiftungs-Idee. Ich wollte nur aufzeigen, warum im bestehenden System Kritiken nicht so wissenschaftlich-kühl funktionieren können, sondern sich einem Diktat der medialen Aufmerksamkeitsökonomie unterordnen müssen, welches aus den mittelmäßigsten Köchen die größten Fernsehstars macht.

Besonders schön an Dollases Idee finde ich den Schwerpunkt auf eine Empfehlung, die davon ausgeht, dass es für jede Küche ein ideales Publikum geben kann, welches der Tester eben definieren muss. Auch der edelste Gaumen muss anerkennen, dass fettige Freibad-Fritten in der Durchschnittsbevölkerung irgendwie populärer sind, als Sterneküche.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Inspirational Food)