Allein allein

Stevan Paul ist Foodjournalist und Kochbuchautor. In dieser Funktion muss er natürlich oft essen gehen. Was ihn dabei von vielen Menschen unterscheidet: Er geht ganz gerne mal alleine essen. Seinen Besuch im Frankfurter bidlabu hat er zum Anlass genommen, darüber mal ein paar grundsätzlichere Zeilen zu schreiben.

Und schon gehen sie los, die Freuden des Alleineessers: runterkommen, zu sich selbst kommen. Das gelingt formidable mit einem schlozigen Auftakt aus perfekt gegarten Meeresfrüchten, üppig angerichtet mit süffigem Safran-Paprikaschaum, unter einem hauchzartem Knusperdeckel aus Brot, und Tropfen einer Art Rouille-Mayonnaise. Dazu ein buttriger Sauvignon Blanc 2017 Weingut Wendenborn, Rheinhessen.
Und dazu: Leute beobachten.

Ein bisschen kann ich Paul ja nachvollziehen. Das ein oder andere Mal musste ich auch schon alleine einen Restaurantbesuch rumbringen und natürlich bekommt man da mehr mit. Sowohl auf dem Teller als auch um den Tisch herum. Doch grade letzterer Aspekt sorgt bei mir eher für Unwohlsein. Um den andern Gästen nicht permanent das Gefühl zu geben, dass ich ihre Aktivitäten eigentlich mit großem Interesse verfolge, vergrabe ich mich in solchen Situationen schnell in das Smartphone, eine mitgebrachte Zeitung oder ein Buch – dann bekommt man wieder weniger mit.

Desertiert vorm Dessert

Marcus Werner ist verzweifelt. In seiner Kolumne in der Wirtschaftswoche klagt er sein Leid über schlechte Desserts aus deutschen Küchen. Selbst bei Tim Raue mit zwei Sternen habe er nur einen faden Schokopudding bekommen. Dramaturgisch korrekt geht die Geschichte aber gut aus. Die Rettung kam in Thailand in Form von Birnen-Mandel-Mousse mit wildem Honig.

Das war ein Highlight. Die in Bangkok denken noch nach beim Dessert. Wir Europäer sind schon so satt und träge. Jetzt überholen uns die Asiaten auch noch bei Mousse und Eiscreme.

Was denkt Ihr? Muss man wirklich bis Bangkok fahren, damit Süßigkeiten wieder Spaß machen? Dürfen „wir“ uns gelassen von „den Asiaten“ beim Dessert überholen lassen, oder muss Ernährungsminister Christian Schmidt jetzt schnell einen nationalen Aktionsplan Süßspeisen aufstellen, damit Deutschland bald auch beim Thema Nachtisch wieder international in der ersten Liga mitspielen kann?

(Bild: CC-BY whity)

Lädchen wechsel dich

Julia Floß zieht im Kölner Stadtanzeiger eine erste Bilanz des „Laden Ein“. Dabei handelt es sich um ein Restaurant, in dem alle zwei Wochen jemand anderes kocht und soll eine Verlängerung der abwechslungsreichen Street Food Festivals in ein Ladenlokal hinein sein.

Bisher durften sich schon mehr als 50 Gastronomen ausprobieren. Eine der wichtigsten Eigenschaften von Street Food-Märkten und Pop Up-Stores ist allerdings ihre Kurzlebigkeit. Die Neugierde der Kundschaft wird über Zeitdruck erhöht: „Wir müssen da jetzt hin. Das gibt’s nur heute.“

Für mich persönlich klingt das ja eher stressig, aber ich bin auch so ein Lieblingsladen-Gewohnheitstier und nicht der größte Street-Food-Connaisseur. Blöder Satz, aber der Erfolg scheint dem Laden-Ein-Team ja recht zu geben und lustig klingt das schon.

(Symbolbild: CC BY 2.0 i_yudai)

Von der Suche nach den richtigen Wörtern

Eigentlich habe ich gedacht, ich verlinke Philipp Mausshardts Artikel-Reihe „Auf die Mütze“ in der taz erst, wenn sie komplett ist. Aber vielleicht soll es ja Fragment bleiben, mehr als zwei Folgen scheint es bisher leider nicht zu geben. Der Autor, selbst ein erfahrener Restaurantkritiker, wagt sich auf die Meta-Ebene und schreibt ein bisschen über diese ganz spezielle Textgattung. Im ersten Teil geht es um die Geschichte des Textgenres.

Als Vater der Restaurantkritik gilt der Franzose Alexandre Grimod de la Rey­nière. Ein Adeliger, der kurz nach der Französischen Revolution damit begann, die Kochkünste seiner Landsleute mit bissig-ironischen Kommentaren zu bewerten.

Für aktive Restaurantkritiker besonders spannend ist der zweite Teil. Hier klagt der Autor über die Schwierigkeit, Geschmack adäquat in geschriebenem Text wiederzugeben.

Süß, sauer, salzig, bitter. Viel mehr Begriffe, um einen Geschmack zu beschreiben, gibt es nicht. Umami, die fünfte Geschmacksqualität, am ehesten mit „fleischig, würzig“ umschrieben, kennt schon kaum ein Mensch.

Im Unterschied zu Dollases Stiftung Restaurantkritik, die wir vor kurzem hatten, denkt Mausshardt deutlich mehr an den Leser, der am Ende auch was lernen will und Spaß haben soll mit dem Text.

(Bild: CC BY 2.0 cheeseslave)

 

 

Dollases Stiftung Restaurantkritik

Der König der deutschen Gastrokritik, Jürgen Dollase, hatte sich vor dem Erscheinen des neuen Gault Millau ein paar Gedanken darüber gemacht, wie ein optimaler Restaurantführer ausfallen müsste. Typisch für Dollase ist das Gedankenspiel nicht gerade klein.

Ein optimiert arbeitender Führer muss sodann ein neues Konzept der kulinarischen Kommunikation verfolgen, bei dem es weniger – wie heute oft zu finden – darum geht, eine bestimmte, bevorzugte Klientel zu bedienen, als darum, alle Restaurants gleich welcher Stilistik mit dem dazu passenden Publikum zusammenzubringen. Dazu wird es nicht nur nötig sein, eine sachliche Sprache zu finden, die in der Lage ist, jede Form von Küche zu beschreiben, sondern auch den Willen und das Vermögen zu haben, jeden Küchenstil nachvollziehbar zu analysieren und zu beschreiben.

Das spannendste an Dollases Utopie sind die Grundsätze, die er zur Beurteilung von Kochkunst benennt:

Im Mittelpunkt der Arbeit des Restaurantkritikers steht das Verstehen dessen, was in einem Restaurant gemacht wird. Schon diese scheinbar einfache Forderung steht in einem beträchtlichen Gegensatz zu dem, was heute üblicherweise gemacht wird. Ein möglichst genaues Verstehen kann als Grundlage nur so viel Wissen wie eben möglich haben. Auch das können wir heute oft nicht beobachten. Erst nach dem Verstehen von Details und Zusammenhängen kann es an eine Einordnung gehen, wobei diese zuerst eine stilistische und/oder gastronomische sein sollte. Den Abschluss bildet nicht etwa eine Wertung, sondern eine Empfehlung, die transparent macht, welche Gäste sich aus welchen Gründen für eine solche Küche interessieren könnten. Eine Wertung in Form einer Hierarchisierung der Leistungen steht – wenn überhaupt – erst am Schluss der Analysen.

Typisch für Dollase denkt er hier sehr stark an die Produzenten und die Produkte, denen sein Urteil gerecht werden will.  Wie bei allen Versuchen eines wissenschaftlichen Bemühens um Objektivität üblich, wird dabei der Unterhaltungswert zu Gunsten eines Erkenntnisgewinnes hinten angestellt. Allerdings sind Restaurantkritiken bisher fester Bestandteil der Magazin- und Feuilletonkultur. Sie werden in der Regel von den Lesern am Kiosk finanziert. Für diese sind aber gerade die von Dollase gering geschätzten Wertungen besonders interessant. Weil Gastronomiekritiken aktuell eben nicht die Unabhängigkeit haben, die Dollases Stiftungsideal ihnen ermöglichen würde, müssen sie unterhalten und auch jene Leser ansprechen, die an einem wissenschaftlichen Werturteil über ein bestimmtes Restaurant, in das sie vielleicht nie gehen würden, gar nicht interessiert sind. Das sind wohlgemerkt alles keine Argumente gegen die Stiftungs-Idee. Ich wollte nur aufzeigen, warum im bestehenden System Kritiken nicht so wissenschaftlich-kühl funktionieren können, sondern sich einem Diktat der medialen Aufmerksamkeitsökonomie unterordnen müssen, welches aus den mittelmäßigsten Köchen die größten Fernsehstars macht.

Besonders schön an Dollases Idee finde ich den Schwerpunkt auf eine Empfehlung, die davon ausgeht, dass es für jede Küche ein ideales Publikum geben kann, welches der Tester eben definieren muss. Auch der edelste Gaumen muss anerkennen, dass fettige Freibad-Fritten in der Durchschnittsbevölkerung irgendwie populärer sind, als Sterneküche.

(Bild: CC BY-NC 2.0 Inspirational Food)