Durch die Kantine zurück zur Kommune

Die taz hat ein schönes Interview mit Patrick Wodni. Der hat früher unter anderem im Avantgarde-Tempel Nobelhart & Schmutzig gekocht. Irgendwann war ihm der Gourmet-Betrieb aber wohl nicht erfüllend genug, und heute kocht er in der Kantine eines anthroposophischen Krankenhauses. Dabei sagt er einige kluge Dinge und fordert geliebte Klischees („eine dicke, rauchende alte Frau klatscht undefinierbaren Brei auf ein Tablett“) heraus.

Das Interesse an guter Ernährung und Essen ist so groß wie noch nie zuvor. Gleichzeitig sind so wenig Menschen wie nie zuvor dazu bereit, das selbst zu machen. Kantinenessen macht einen immer größeren Teil dessen aus, was die meisten täglich essen.

Vor einigen Tagen hatte Gabor Steingart in seinem Podcast den Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup interviewt. Rürup gilt als einer der Vordenker hinter Gerhard Schröders Agenda 2010. Im Gespräch versucht er zu rechtfertigen, warum Hartz 4 heute nicht mehr richtig, aber damals nicht falsch gewesen sei. Dabei erwähnt er, dass der Zeitgeist Ende der 90er viel mehr Wert auf Individualismus gelegt habe. Das hat mich überrascht, weil meiner Wahrnehmung nach der Siegeszug des neoliberalen Hyper-Individualismus ungebrochen schien. Aber vermutlich hat Rürup recht, und die Menschen denken heute wieder stärker gemeinschaftlich, in Kollektiven. Man sieht das in den USA, dem Heimatland individueller Freiheit, wo heute ein chauvinistischer Nationalismus à la Trump gegen Bernie Sanders neuen Sozialismus kämpft, der im europäischen Maßstab eher eine neue Sozialdemokratie ist.

So gesehen ist es nur logisch, dass kluge Köpfe zurück in die Kantinen gehen. Wodni hat die Qualität seines Betriebes deutlich gesteigert, ohne die Kosten zu erhöhen. Dabei scheint er zwei Strategien verfolgt zu haben: A) Mehr regionale Lieferanten und B) weniger Fleisch. Gerade letzteres eigentlich ein No Brainer in einem Krankenhaus. Seine Erfahrungen machen Mut, mehr Kantinen umzukrempeln:

Die Umstellung durfte nicht mehr kosten, ich hatte nur 4,74 Euro pro Patient und Tag. Wenn man da mit guten Zutaten kochen will, bedeutet das: weniger Fleisch. Klar gab es Widerstand gegen das ganze „Hasenfutter“. Aber dann zeigte sich, viele Patienten kannten die Gerichte einfach nicht. Ich hatte am Anfang die Originaltitel auf den Speiseplan geschrieben und die Gerichte mit der Zeit immer mehr eingedeutscht. Das hat viele Schwellenängste beseitigt. Und wenn ich erklärt habe, wir wollen Fleisch in guter Qualität anbieten, aber weil das kostet, gibt es eben weniger, hat niemand gesagt: Wie blöd.

(Foto: rawpixel on Unsplash)

Systemgastronomie mit drei Sternen

Als ich vor kurzem in London war, hat mich eines besonders überrascht: Es gibt dort in jeder Ecke Systemgastronomie. Und damit meine ich nicht nur McDonalds und Co. Von Pret a Manger über Jamie’s Italian, las Iguanas, wagamama, ping pong und Prezzo bis hin zum L’Atelier de Joël Robuchon gibt es auf der Insel viel mehr Ketten, auch in gehobeneren Segmenten, die nach Schema F Innenstädte beleben und versorgen. Im Vergleich dazu ist Festland-Europa noch Systemgastronomie-Entwicklungsland. Man mag darüber streiten, ob das nun Fluch oder Segen sei. Der traditionelle, deutsche Feinschmecker verteidigt natürlich den inhabergeführten Feinschmeckertempel ohne Franchise oder Tochter-Unternehmen, aber der ist nicht unbedingt wirtschaftlich durchhaltbar und nicht jede Ökonomisierung des Betriebes muss auch eine Verschlechterung der Produkte bedeuten.

Nur eines fehlt in London bisher: Systemgastronomie mit drei Sternen. Das Atelier de Joël Robuchon in London hat es zwar mit einem Stern in den Guide geschafft, drei Sterne bei Michelin hat aber nur die Dependance in Hong Kong. Dort war Julien Walther kürzlich zu Gast, und wie das bei ihm üblich ist, hat er hinterher eine schöne Kritik geschrieben. Sein Urteil: Systemgastronomie muss mit McDonalds gar nichts zu tun haben.

Die Ateliers stehen wegen ihres Systemgastronomie-Charakters bei einigen in der Kritik. Doch was bedeutet das schon? Nur, weil eine globale Kette zentral gemanagt wird, ist das kein Nachteil für den Gast. Im Gegenteil. Ich liebe im Fall der Ateliers die Konformität und das Bekannte. Die Küchen sind offen, die Küchenchefs sind hervorragende, gewissenhaft arbeitende Spitzenköche, und die exzellenten Produkte profitieren von den vor Ort jeweils möglichen Bezugsquellen.

(Foto: Original: Bogomil Mihaylov on Unsplash/Bearbeitung: Tatar und Theorie)