Der Dashi und das Geheimnis des Umami

Malte Härtig hat bei Effilee einen zugleich poetischen und lehrreichen Essay über den Dashi geschrieben. Diese klare Brühe auf Algenbasis ist die Grundlage für viele Klassiker der japanischen Küche. Ihre Geschichte hängt überraschend eng mit der Entdeckung und Verbreitung des fünften Geschmackes Umami und gleichzeitig dem heute verpönten Geschmacksverstärkers Mononatriumglutamat zusammen. Das und viele weitere spannende Details finden sich in dem Text. Härtig ist nämlich nicht nur Fan der Brühe,sondern hat sich auch wissenschaftlich mit der japanischen Küche befasst. Und auch wer den Dashi selbst einmal nachkochen möchte, der findet hier ein paar gute Hinweise:

Wenn man morgens in die Küche des Kikunoi kam, stand dort schon eine Reihe von großen Töpfen auf den Gasbrennern – jeweils mit einem Thermometer versehen, das sechzig Grad anzeigte. Für eine Stunde lagen darin große Kombublätter. Diese Zeitdauer und diese Temperatur, so hatten Versuche des Kikunoi mit der Uni Kyoto gezeigt, extrahiert das Maximum an Umami aus dem Kombu in den Fond. Nachdem er ausgezogen war, brachte man das Wasser auf fünfundachtzig Grad, um dann die Späne des Katsuo für ein paar Sekunden darin ziehen zu lassen. Diese kamen frisch gehobelt von einem Bekannten des Inhabers des Kikunoi, kaum hundert Meter Luftlinie entfernt. Die Aromen dieser Flocken seien sehr flüchtig, erzählten mir die Köche, also sei es wichtig, sie schnell zu verarbeiten.

(Bild: CC-BY City Foodsters)

Fast Food feuert das Immunsystem an

Unerhört, was der bayerische Rundfunk da jüngst in seinem Wissens-Programm verkündete: Fastfood macht das Immunsystem langfristig aggressiver. Das klingt erstmal gar nicht so negativ. Ein aggressives Immunsystem, mag der Laie denken, bekämpft sicher auch aggressiv und effizient die Krankheiten. In der Realität ist die Geschichte jedoch komplizierter. Denn wie so oft bei Aggression: Ein aggressives Immunsystem neigt zu Überreaktionen und führt zu Entzündungen, die ein normales Immunsystem vermieden hätte.

Die Wissenschaftler haben vier Wochen lang Mäuse mit viel Fett, viel Zucker und wenigen Ballaststoffen gefüttert. Ihr Körper reagierte darauf mit massiven körperweiten Entzündungen, fast so, als hätten sie sich mit gefährlichen Bakterien infiziert. Als die Tiere daraufhin vier Wochen lang artgerechte Getreidekost erhielten, verschwanden die Entzündungen. Allerdings: Auch nach der Ernährungsumstellung waren immer noch viele Erbanlagen aktiv, die während der Fastfoodzeit aktiviert wurden. Die genetische Reprogrammierung der Immunzellen blieb also bestehen.

(Foto: CC-BY chichacha)

Saftladen

Nikolas Rechenberg berichtet davon, wie Sebastian Frank mit Säften und Essenzen seine preisgekrönte Küche optimiert. Von einfachem Apfelsaft bis zu Drinks mit Molke, Meerrettich und Leindotteröl scheint seine Phantasie keine Grenzen zu kennen. Dem Guide Michelin gefällt das. In der letzten Ausgabe gab es zwei Sterne für sein Restaurant HORVÁTH.

Mit der „Essenz meines Lebens“ begibt sich der Österreicher mit Produkten von Orten seiner Kindheit und seiner kulinarischen Karriere auf eine Reise. Mais und Getreide aus Niederösterreich, Pilze, Wasser und Steine aus der Steiermark und Schaufelbraten oder Schulterscherzl aus Wien sind die Zutaten für eine einzigartige Suppe, die er schließlich in seinem Berliner Restaurant serviert. Er verwendet für den letzten Schritt der Zubereitung einen Cold Dripper und lässt den Fond aus geröstetem Mais und Getreide, getrocknetem Fleisch, Wasser und Pilzen durch die zerschlagenen Steine laufen.

Dabei probiert Frank nicht nur neue Zubereitungstechniken aus, sondern markiert wohl auch eine Zeitenwende. Während es früher selbstverständlich war, zu gehobenen Menüs eine Weinbegleitung zu bestellen, ist der Alkohol heute gleich von mehreren Seiten unter Attacke. Gesundheitsfreunde warnen vor den Schäden des Rauschmittels. Während es schick geworden ist, präventiv zumindest auf Zeit zu verzichten, gibt es am anderen Ende auch viele Menschen, die nach einem gelungenen Entzug keinen Alkohol mehr bestellen dürfen. Gleichzeitig stellen sich große Teile des Fine-Dining-Bereichs immer stärker auf reiche Kundschaft aus dem nahen Osten ein. So sehr die Scheichs den Luxus schätzen, der Alkohol ist ihnen religiös verboten. Darauf stellt man sich mittlerweile sogar in traditionellen Weinbauregionen ein.

(Bild: CC-BY Breville USA)

Atemraubendes Rindfleisch

Stephanie Nolen und Aaron Vincent Elkaim haben für die kanadische Zeitung The Globe and Mail eine grandiose Reportage aus dem brasilianischen Regenwald geschaffen. Mit tollen Bildern und digital top präsentiert zeigen Sie, an welch unterschiedlichem Klein-Klein die Rettung und Erhaltung des Regenwaldes zu scheitern droht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die außergewöhnlich ineffiziente und deshalb flächenintensive Landwirtschaft Brasiliens. Da wird Atemluft gegen Rindfleisch eingetauscht. Das mag nur peripher mit dem Thema Kulinarik zu tun haben, aber die handwerkliche und technische Umsetzung ist so gelungen, dass es sich lohnt, die 20 Minuten Zeit zu investieren um mit Nolen und Elkaim durch den Dschungel zu fahren.

There are twice as many cows as there are people in Brazil – but this country has the world’s least productive cattle industry. Canadian farmers raise, on average, seven cows per hectare; here, they raise just one. Forging new pasture for cattle is the single biggest driver of deforestation – responsible for 66 per cent of it.

(Bild: Eine Farm in Mato Grosso, CC-BY paulisson miura)

 

 

Vom Aussterben der Dorfkneipen

Über 60 Prozent Schwund in gerade Mal 15 Jahren. Die Zahlen der DeHoGa-Hessen, die die Welt zitiert, klingen besorgniserregend. In den hessischen Provinzen gibt es ein massives Aussterben der Dorf-Gasthäuser. Das Problem scheint ähnlich gelagert wie bei Bauernhöfen: Wenn die Betreiber zu alt werden, finden sie keinen, der die Nachfolge antreten möchte. Weil die jungen Menschen aus der Provinz fliehen, werden die Kneipen aber doppelt getroffen, denn ihnen rennt nicht nur das Personal davon, sondern auch die Kundschaft. Trotzdem ist die Entwicklung auch für Städter traurig, ist das unmittelbare Umland doch ein oft unterschätzter Schatz zur Naherholung.

Mittlerweile schätzt der Verband die Zahl der Betriebe auf nur noch etwa 1100. Zwei Jahre zuvor seien es noch rund 1800 gewesen. Und im Jahr 2002 waren es nach statistischen Angaben noch knapp 3000 Betriebe. Laut Prognosen der Fachleute wird die Zahl noch weiter sinken.

Dabei scheinen es auch die Kneipen in dichter besiedelten Räumen immer schwerer zu haben. Der WDR hat eine Karte über das Verschwinden der Eckkneipen in NRW und selbst in der Hauptstadt diagnostiziert Fabian Federl im Tagesspiegel eine Kneipenkrise.

(Foto: CC-BY-ND dmytrok)

Fried Chicken und Freiheitskampf

Heute mal eine Youtube-Kanal-Empfehlung:Der User Townsends ist wie viele Amerikaner auch nach dreihundert Jahren noch besessen mit der aufregenden Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Außerdem ist er, wie wir alle hier, besessen vom Thema Essen. Sein Kanal bringt diese beiden spannenden Themen zusammen und stellt Essen aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges vor. Oft kocht er dabei tatsächlich jahrhunderte alte Rezepte nach und erklärt, welche Schwierigkeit einem dabei begegnen können und welche Tricks helfen können. Das ist doch mal schmackhafter Geschichtsunterricht. Wer danach satt ist, aber mehr über den Unabhängigkeitskrieg lernen möchte, der höre am besten Hamilton von Lin-Manuel Miranda.

Die linke Döner-Debatte

Was war das für eine traurige Posse, letzten Sommer, als der Boulevard eine Diskussion im Europäischen Parlament über mögliche Gesundheitschäden von Phosphat so böswillig uminterpretierte, als wollten herzlose Bürokraten aus Brüssel den armen Menschen ihren Döner verbieten. Die linke Wochenzeitung Jungle World hat das einzig richtige gemacht, und über den albernen Boulevard-Streit gleich größenwahnsinnig die große Systemfrage gestellt: Döner Ja oder Nein.

Auf der Pro-Seite vermutete Ralf Balke hinter der Verbotsdebatte einen deutschen Zwangscharakter. Hinter dem vorgezogenen Argument der Volksgesundheit – denn es wurde nur über Döner, jedoch nicht über Bratwurst gesprochen, verberge sich eine fremdenfeindliche Ablehnung der orientalischen Spezialität kombiniert mit zwanghaften Vorstellungen von Sauberkeit und Hygiene.

Wer also dem Döner das Existenzrecht entziehen will, hat vor allem eines: pathologische Vorstellungen von Reinheit und Volkshygiene.

Nicht weniger theoretisch hochtrabend sind die Gegenargumente von Jan Stich. Der kritisiert einerseits die in der Regel mäßige Qualität des Döners, wie er in Deutschland serviert wird und hält diesen andererseits, im Kontrast zu Balke, für sehr vereinbar mit Fremdenfeindlichkeit. Dazu verweist auf die über ein Jahrhundert bestehende, militärische Kooperation zwischen Berlin und Bosporus.

Döner Kebab bedeutet Mittelmaß für die Massen statt Austern für alle. Das ist nicht das gute Leben. Das ist Food-Fordismus, Fließbandfutter, kulinarische Kulturindustrie.

In dem Kontext auf jeden Fall auch spannend ist ein taz-Artikel von Philipp Mausshardt aus dem letzten Frühjahr. Der erinnert zuerst daran, dass viele Gerichte ihren Ursprung in Kriegszeiten hatten und leitet davon ab, dass die friedliche Entwicklung und Ausbreitung zwischen Ankara und Berlin ein allgemein nachahmenswertes Beispiel für Völkerverständigung ist.

Man muss in der heutigen Aufregung deshalb schon froh darüber sein, dass der Döner ganz friedlich seinen Weg nach Mitteleuropa gefunden hat. Anstatt sich zu massakrieren, hätten sich die Migranten früherer Zeiten und die einheimische Bevölkerung besser auch schon um eine friedliche Integration bemühen sollen, den Austausch von Rezepten selbstverständlich mit einbezogen.

Da soll mal einer sagen, Döner sei langweilig. Mit ausreichend professioneller Deformation und genug Semestern Geistes- und Sozialwissenschaften kann man selbst über türkisches Grillfleisch weltanschauliche Debatten führen. Und dabei haben wir die Frage nach den ethischen Schwierigkeiten des Fleischkonsums noch nicht mal angeschnitten.

(Bild: CC-BY A of DooM)

Die Avocado-Miliz von Mexiko

Wenn man den Witzen glauben darf, ist die Avocado das wichtigste Nahrungsmittel für Millenials. Auf jeden Fall boomt der Markt seit Jahren. Ein wichtiges Anbauland ist Mexiko. Dort gilt die fette Frucht als grünes Gold. Seit einiger Zeit wird auch über die großen Schwierigkeiten berichtet, die der Avocado-Anbau für das Land bedeutet. So schrieb die dpa:

Die Abholzung der Wälder und die intensive Landwirtschaft zerstören nach Einschätzung von Umweltschützer Navia nicht nur das Ökosystem, sondern auch den Zusammenhalt in der Region. 80 Prozent der Wälder in Mexiko gehören Dorfgemeinschaften – sogenannten Ejidos. Die Bewohner verwalten das Land gemeinsam, bestellen es aber individuell. „Wird das Land an mächtige Agrounternehmer verkauft, löst sich das soziale Gefüge auf“, sagt Navia.

In dem Ort Tancítaro hat der große Erfolg der Avocado-Bauern ein ganz anderes Problem gebracht. Das viele Geld hat die Mafia angelockt. Weil der mexikanische Staat in vielen Regionen keine Chance gegen die Ganoven hat, haben die Bauern sich jetzt selbst paramilitärisch organisiert. Anne Ewbank schreibt auf Gastro Obscura:

The avocado producers of Tancítaro decided to fight back. In 2013, they created their own paramilitary. In Mexico, there are a number of local protection forces, but few are as well-equipped as CUSEPT. Members of CUSEPT, a Spanish acronym for “Public Security Corps,” wear uniforms with body armor and carry high-powered weapons. Checkpoints and regular patrols give residents an increased sense of security while warning cartels away. To keep things local, participants are required to be from the area, and the avocado producers provide nearly half of their funding. The government picks up the rest of the bill, and provides training.

Ein gutes Produkt muss eben viel mehr sein als Bio und Fair, Regional und Saisonal. Es wäre auch ganz gut, wenn es nicht auf paramilitärische Privatarmeen angewiesen wäre. Aber hey, früher gab es sogar Staatsstreiche wegen Bananen. Globalisierung ist kompliziert, und Essen ist am Ende auch ein Business und Business bedeutet eben Geld und Machtkämpfe.

(Bild: CC-BY-ND femme run)

Ganze Taube mit Popcorn-Pulver

Gisela Reiners hat für die Welt ein schönes Portrait über Christian Scharrer geschrieben. Im Mittelpunkt steht ein Rezept des Sternekochs. Beim Etouffée Taube kombiniert er allerlei von der Taube mit einem Popcorn-Pulver. Für Letzteres kauft er tatsächlich gewöhnlichen Popcorn-Mais, poppt diesen in der Pfanne und zermahlt ihn dann zu feinem Pulver. Dabei ist Scharrer nicht nur großer Handwerker, sondern verbindet mit dem Gericht auch eine Nachhaltigkeits-Botschaft:

Warum überhaupt zwei Gänge aus dem einen Tier? Scharrer findet klare Worte: „Ich finde es unanständig, von einem Tier nur die als edel bezeichneten Teile zu verwenden, bei der Taube also die Brust. Soll man die Mägen, Keulen und anderes einfach wegwerfen? Außerdem erfordert die Zubereitung der Innereien und anderer Teile richtig gutes Handwerk. Da ginge also viel Wissen und Geschicklichkeit verloren.“

(Bild: CC-BY Esin Üstün)

Abschied von einem Jahrhundertkoch

Heute wird Bocuse um 10.30 Uhr in der Cathédrale Saint Jean in Lyon zu Grabe getragen. Dabei werden viele Trauergäste kein Schwarz tragen. Auf seinen Wunsch hin wurden alle Köche unter den Trauergästen gebeten, ihre weißen Kochjacken zu tragen. Mittlerweile finden sich auch in der Presse ein paar nennenswerte Texte zum traurigen Anlass. Rudolf Balmer erinnert in seinem schönen Nachruf in der taz daran, dass Bocuse erst Widerstandskämpfer gegen Nazi-Deutschland war, bevor er die gastronomische Welt eroberte. Im Stern beschreibt Küchenpromi Vincent Klink, wie Bocuse das Selbstverständnis von Köchen prägte und änderte. In der Süddeutschen Zeitung erzählt Patricia Bröhm unter anderem die schöne Anekdote, wie Bocuse sich damals für eine Herzoperation bedankt hatte. In seinem alten Hausblatt erscheint Jürgen Dollase nur als Interviewpartner. Auf Eat-Drink-Think schreibt er hingegen über verschiedene Treffen mit Bocuse und seine besondere Rolle in der französische Küche:

Bocuse stand an einer ganz wichtigen Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne. Er war derjenige, der wie kein zweiter Koch die traditionsverbundene französische Hochküche durch die Zeiten transportiert hat und für Klarheit und geschmackliche Präzision sorgte, als sie zu sehr in Richtung von großen Schautellern und unendlich viel Bastelei abdriftete.

Dazu passend ein besonders hübsches Zitat von Matthew Fort im Guardian:

Although Bocuse was associated in the early 1970s with the rise of nouvelle cuisine, he later dissociated himself from that movement, saying it represented “not enough on your plate and too much on your bill”.

(Bild: CC-BY thierry ehrmann)