Die harte Story der sanften Vanille

Vanille ist ein beliebter Geschmack für Joghurt, Eis oder Pudding. Irgendwie hat Vanille aber auch den Ruf, besonders sanft und weich zu sein. „Vanilla“ nennen Anhänger der BDSM-Szene Menschen, die langweiligen Blümchen-Sex pflegen. Zu Unrecht findet Bryan Quoc Le und hat deshalb auf Medium einen langen Essay über die Geschichte der Vanille geschrieben. Eine alte, indianische Legende sieht den Ursprung der Vanille in der heimlichen Affäre und der anschließenden Ermordung einer wunderschönen Prinzessin. Und wie heute an jeder Eisdiele war auch damals der natürliche Nachbar der Vanille schon die Schokolade:

During the 15th century, though, the Aztecs conquered the region and forced the Totonacas to pay tribute with their vanilla pods. The Aztecs were fond of chocolatl, a predecessor to hot chocolate, and combined the vanilla with their cocoa beans.

Aufgrund der komplizierten Herstellung, echte Vanille wächst nur in tropischen Regionen gut, gilt Vanille als der zweitteuerste Geschmack nach Safran. Das erklärt dann wohl auch, warum man es in Deutschland so selten mit echter Vanille zu tun hat. Immerhin waren es ja auch zwei Deutsche, die das erste synthetische Vanillin im Labor herstellten. Damit gelang dem edlen Aroma der Ausbruch aus den gehobenen Kreisen hinaus in die Welt, an dem sogar ein US-Präsident beteiligt war.

With a new production process and lower price, uses for vanilla flavor spread like wildfire and sparked the mass production of treats, confections, baked goods, sweets, and drinks (alcoholic and otherwise) normally reserved for the wealthy upper class. At one point, vanilla made its way into ice cream, which was popularized in the United States by Thomas Jefferson.

Heute werden jeden Tag gigantische Tonnen künstliches Vanillin produziert. Aber der Trend nach natürlichen Aromen bringt immer mehr Hersteller dazu, auf natürliche Vanille umzusteigen. Das bringt aber wiederum ganz neue Probleme mit sich.

Mir persönlich schmeckt Vanille ja am besten in einer gut gemachten Crème brûlée. Dabei müssen es aber nicht immer Süßspeisen sein. Nives zeigt in ihrem Blog zum Beispiel, wie man easy Möhren mit Vanilleschoten tunen kann.

(Foto: Ilya Ilford on Unsplash)

Ich ess Blumen…

…denn Tiere tun mir leid? Nein, hier geht es weder um die Ärzte noch deren Song über anstrengende Vegetarier von 1988. Hier geht es um traditionelle, italienische Landküche. Die kann nämlich viel mehr außer Pizza und Pasta. Vittoria Traverso hat bei Gastro Obscura einen wundervollen Text über Elena Rosa geschrieben, die die vergessene Kunst des Kochens mit Blumen zurück nach Italien bringt und dafür sogar einen alten Dialekt lernen musste.

PICKING, COOKING, AND EATING FLOWERS and wild herbs was once a common practice across rural Italy. From Naples’ sciurilli (deep fried courgette flowers) to Veneto’s frittelle di fiori de gazia (acacia flowers doughnuts), most regions have a dish whose key ingredient is flowers. But after World War II, industrialization and urbanization led to the abandonment of this ancient tradition.

Im Grunde ist es mal wieder eine Slow-Food-Geschichte. Die Industrialisierung setzt Standards auf weiter Fläche durch und verdrängt gleichermaßen Hunger, Unterernährung und regionale Sonderwege – einer dieser Effekte ist doof.

Italy’s post-war industrialization affected farming practices, too. Many farmers switched to lucrative monocrops to meet market demand. In the span of a generation, traditional folk knowledge of wild plants was lost. The only keepers of such ancient notions are elderly people living in rural areas.

Am interessantesten ist wohl ein Absatz über die unterschiedlichen Aromen und Inhaltsstoffe verschiedener Blumen:

She now grows roughly 200 different seeds, ranging from rare vegetables to wild plants and flowers including nasturtium, cornflower, and dahlias. “I have learned that flowers are very nutritious and can be used for a vast range of recipes,” Rosa says. “Take bright-orange Nasturtium flowers. They are rich with Vitamin C and each of their components can be [used in different food preparations].” Nasturtium seeds, for example, can be ground to make pepper, blossoms marinated to make vinegar, and petals eaten raw or sautéed with butter. The velvety white leaves of begonia semperflorens are particularly interesting: They taste just like citrus fruit and can be used to season seafood dishes instead of lemon.

(Drollige Beobachtung am Rand. Es ist schön, wenn Dinge übersetzt werden, aber die folgenden beiden Übersetzungen scheinen mir doch sehr offensichtlich:

Tozzetti’s 1767 treaty titled De alimenti urgentia, which literally means “Of urgent aliments,”

und

Elena Rosa, whose last name literally means “Rose,”

aber sicher ist sicher)

(Foto: Photo by James Wainscoat on Unsplash)

Der Ursprung im Eintopf

Ayesha Harruna Attah hat in der New York Times einen spannenden Text darüber geschrieben, wie sie in traditionellen, afrikanischen Gerichten Zeugnisse eines Afrikas sucht, welches noch nicht durch Christentum, Islam und Kolonialismus verändert worden ist. Dabei beschreibt sie, wie schwer es ist, ursprüngliches von importiertem zu unterscheiden. Meine naive These wäre ja, dass es wirklich ursprüngliches nicht geben kann, und die interessanten Dinge alle erst im (oft gewalttätigen) Austausch verschiedener Menschen entstehen.

Das ist für einen weißen Mitteleuropäer vielleicht auch zu einfach zu sagen. Attah beschreibt dabei auch ein kulinarisches Machtgefälle zwischen den Suppenwürfeln des Westens und traditionellen, komplizierten Gerichten. Das erinnert eigentlich sehr an die Anfänge von Slow Food in Italien. Unabhängig davon, wie authentisch autochthon ein Gericht nun sein mag, ist es sicher sinnig, das Wissen über alte Produkte und Zubereitungsformen zu bewahren und weiterzugeben.

Because no one was doing such P.R. for our local foods, we longed to leave our shores to savor this manna from America.

(Foto: CC-BY-SA Hugues via Flickr „Joyce prepare le Fufu (mon plat favori)“)

Magische Kartoffeln gegen Rheuma

Eigentlich war es im Viktorianischen Großbritannien nicht großartig anders als heute, wie Gastro Obscura berichtet:

RHEUMATISM, THE HISTORICAL CATCH-ALL TERM for a number of inflammatory joint and muscle conditions, is a painful diagnosis. Before the advent of painkillers and the specialized field of rheumatology, there was little sufferers could do. So many people turned to magic, superstition, and folks remedies to ease their pain.

Doch während heute mystische Zuckerkügelchen sehr beliebt sind, hatten die Menschen damals einen anderen magischen Gesundheits-Fetisch.

Many of them turned to potatoes.

Damit die Heil-Kartoffel ihre Wirkung entfalten konnte, musste sie gestohlen sein und dann in der Tasche getragen werden, berichtet Anne Ewbank. Das Pitt Rivers Museum in Oxford hat sogar eine ganze Sammlung mit magischen Kartoffeln. Die Idee war, dass mit dem Schrumpeln der geklauten Kartoffel die Schmerzen zurückgehen. Dank des Placebo-Effektes mag es dem ein oder andern sicher sogar geholfen haben, und das ist doch eigentlich schön.

One convert to the potato cure, a Commodore Phillips, pilfered a potato from a barrel in Charleston, South Carolina, and defied a doctor who told him it couldn’t possibly bring him any pain relief. An 1897 medical journal quoted him: “I do not believe in it, but I have a potato and I have no rheumatism.”

(Foto: Juergen Jotzo  / pixelio.de)

Wie die Muslime den Schnaps erfanden

Alkohol in irgendeiner Form scheint die Menschheit seit Adam und Eva zu trinken. Die Wikipedia verweist auf über 4000 Jahre alte Texte, auf denen bereits die Herstellung von Drinks behandelt wird. Angesichts dessen scheint es doch überrascht, dass die Basis der meisten hochprozentigen Getränke, die Destillation, erst im 8. Jahrhundert nach Christus erfunden wurde. Anne Ewbank von Gastro Obscura stellt uns die beiden muslimischen Alchemisten Abu Musa Jabir ibn Hayyan und Muhammad ibn Zakariya al-Razi vor, die das Destillieren, und damit auch den Schnaps erfunden haben. Davon berichtet noch heute das Wort Alkohol – zumindest dem etymologisch geschulten Leser.  Das Wort beginnt nämlich mit einem Al wie in Al Kaida oder Al Dschasira und ist vom arabischen الكحول (al-kuḥūl) abgeleitet.

Before the Islamic Golden Age, people worldwide used crude methods of distillation, such as leaving booze out in the cold and drinking what wouldn’t freeze. And the basic principles of distillation were known by ancient Greek and Egyptian scholars, including Aristotle. But the roots of modern distillation technology began with the semi-mythical Persian alchemist Abu Musa Jabir ibn Hayyan.

Also, beim nächsten Whiskey oder Gin ruhig auch mal dankend gen Morgenland prosten. Heute ist man in der islamischen Welt vielerorts mit dem Alkohol auf Kriegsfuß. Die Türkei verschärfte ihre restriktive Alkoholpolitik zuletzt so weit, dass das Raki-Festival von Adana sich in Kebap-Festival umbenennen musste. Das war nicht immer so in der arabischen Welt, aber oft, wie Ewbank schreibt:

Though liquor was finally easy to obtain, it wasn’t always drunk. Islamic society during the Golden Age swang between outright bans and surprising permissiveness when it came to booze. This phenomenon was epitomized by the lifestyle of the famous poet (and mathematician) Omar Khayyam, who rhapsodized about “a jug of wine, a loaf of bread, and thou.” But the alcohol derived from distillation was often put to work: as lamp fuel and as antiseptic.

(Bild: Photo by Wine Dharma on Unsplash)

Jägerschnitzel mit Spirelli, Schweinesteak-Letscho und Goldbroiler

Und noch einmal DDR: Tina Hüttl von der Berliner Zeitung war mit Roland Albrecht zur Gastro-Kritik im Restaurant Volkskammer. „Roland Albrecht war in der DDR etwas, was eigentlich nicht vorgesehen war: ein Gourmet.“ Damit ist er der perfekte Tester für das Restaurant. Denn in der „Volkskammer“, der Name erinnert an das Scheinparlament unter Honecker, hat man sich auf die Küche der DDR samt ihrer einzigartigen und heute oft schon wieder vergessenen Kuriositäten spezialisiert:

Roland Albrecht studiert die Karte: Würzfleisch mit original Dresdner Worcestersauce, Jägerschnitzel mit Spirelli, Schweinesteak-Letscho und natürlich Goldbroiler. Sein Urteil: ziemlich authentisch, auch was Geruch und Interieur angeht. „Nur die vielen Honecker-Portraits sind etwas übertrieben, so dicke aufgetragen war es dann doch nicht.“

Natürlich kann kein Gespräch mit einem Koch enden, ohne dass dieser klagt, dass die Deutschen heute nicht genug Geld für ihr Essen ausgeben. Das ist auch hier so.

(Bild: CC-BY thierry ehrmann)

Fried Chicken und Freiheitskampf

Heute mal eine Youtube-Kanal-Empfehlung:Der User Townsends ist wie viele Amerikaner auch nach dreihundert Jahren noch besessen mit der aufregenden Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Außerdem ist er, wie wir alle hier, besessen vom Thema Essen. Sein Kanal bringt diese beiden spannenden Themen zusammen und stellt Essen aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges vor. Oft kocht er dabei tatsächlich jahrhunderte alte Rezepte nach und erklärt, welche Schwierigkeit einem dabei begegnen können und welche Tricks helfen können. Das ist doch mal schmackhafter Geschichtsunterricht. Wer danach satt ist, aber mehr über den Unabhängigkeitskrieg lernen möchte, der höre am besten Hamilton von Lin-Manuel Miranda.

Vergessenes Kulturgut Wildvogel

Von dem Germanisten, Volkskundler und Nationalsozialisten Hans Naumann hat die Theorie des gesunkenen Kulturgutes überlebt. Naumann glaubte nicht an eine eigenständige Kultur der unteren Schichten des Volkes, sondern ging davon aus, dass alle Kultur bei den Eliten entsteht und dann im Laufe der Jahrhunderte in die „unteren Schichten“ der Gesellschaft herabsinkt. Für einzelne Beispiele mag das stimmen. So bezeichnete man im Mittelhochdeutschen nur Damen des hohen Adels als Frouwe, alle anderen Frauen wurden relativ wertungsfrei wîb genannt. Heute sind alle Frauen Frauen und Weib wird nur noch selten und wenn dann abwertend verwendet.

„Zu glauben, daß aus der Gemeinschaft der Fortschritt komme, ist
Romantik. Sie zieht herab oder ebnet mindestens ein. Volkstracht, Volksbuch, Volks-
lied, Volksschauspiel, Bauernmöbel usw. sind gesunkene Kulturgüter bis in die
kleinsten Einzelheiten hinein, und sie sind es nur langsam, in fast zu errechnendem
zeitlichem Abstand geworden. Mit anderen Worten: Volksgut wird in der Oberschicht gemacht“.

Auf der anderen Seite gibt es aber genug Beispiele von Kulturgütern, die genau andersrum von unten nach oben gewandert sind. Der Pluralis Majestatis wurde von den einfacheren Umgangsformen des einfacheren Volkes verdrängt. Erwin Seitz allerdings erinnert in der FAZ an ein Kulturgut, welches weder auf- noch abgestiegen, sondern anscheinend verschwunden ist: Den Verzehr von Wildvögeln.

Es gab einmal eine Zeit, da gehörte das Wildgeflügel zum Feinsten, was die Küche zu bieten hatte. Marx Rumpolt, der „Mundtkoch“ des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, veröffentlichte 1581 sein „Neues Kochbuch“ und stellte darin mehrere Menüfolgen vor, gestaffelt nach sozialen Ständen: für Kaiser, Könige, Kurfürsten, Herzöge, Grafen, Edelleute, Bürger und Bauern. Auf den Festbanketten der hohen Herrschaften wimmelte es von Wildgeflügel.

Im Burgenland in Österreich macht er sich auf die Suche nach den vergessenen Delikatessen. Näher vorgestellt werden in dem schön illustrierten Artikel (man merkt eben immer, dass die FAZ sich noch eine eigene Bildredaktion leistet) die Waldschnepfe, der Fasan, das Rebhuhn und die Graugans. Dabei folgt er nicht nur einem neugierigen Gaumen, sondern scheint auch ein größeres Projekt zu verfolgen:

Peter Singer stellt heute in seinem Buch „The Expanding Circus“ die These auf, dass sich das Mitgefühl der Menschen auf einen immer größeren Kreis von Lebewesen erweitere. Wäre es stattdessen aber nicht wichtiger, uralte ökologische Zusammenhänge zu erhalten oder zu rekultivieren, den Kreislauf von schonender Jagd, biologischem Landbau, vielfältiger gesunder Ernährung und Feinschmeckerei? Naturschützer plädieren dafür, angesichts gefährdeter Bestände des Wildgeflügels ganz auf die Jagd dieser Tiere zu verzichten. Doch die Jagd ist nicht das Problem – es ist die industrielle Landwirtschaft.

Das klingt erstmal sehr edel, seltene Vögel futtern und dabei trotzdem an die Umwelt denken. Aber der industriellen Landwirtschaft den schwarzen Peter zuschieben ist so richtig wie bequem. Allerdings ist es eben auch jene industrielle Landwirtschaft, die die außergewöhnlich günstigen Verbraucherpreise in Deutschland ermöglicht. Über kurz oder lang wird gerade Deutschland sich zwischen Billigfleisch und Umweltschutz entscheiden müssen. Aber das hat dann nur noch peripher mit Wildvögeln zu tun.

(Foto: CC BY-ND 2.0 !Koss)

Fette Viecher

Für das neue Jahr sei den Lesern von Tatar und Theorie (ein exklusiver Club von 3-4 sind es derzeit) viel Glück gewünscht. Viel Glück im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, das war übrigens ein Gemälde von einer möglichst fetten Kuh – oder einem fetten Schwein, oder Schaf oder Stier. Gastro Obscura berichtet über die überraschend geometrischen Tiere, deren Abbildungen reiche Bürger sich damals als Statussymbol an ihre Wände hängten.

The early 1800s was the peak of livestock painting. Often the subject was racehorses, painted in slender lines denoting their speed and grace. But for farm animals, corpulence was key. In the paintings, the cow, sheep, and pigs are massive, yet oddly supported by only four spindly legs. Sometimes, their owner is painted in as well, proudly looking over their creation. Other times the animal stands alone, seemingly ready to eat a nearby village. The simple style is often referred to as rustic or “naive” art, even though the subjects were animals belonging to a wealthy elite. The resulting images were part advertisement and part spectacle.

In diesem Sinne also ein frohes Jahr voll fetter Viecher!

(Bild: Yale Center for British Art/Public Domain)