Das suppengewordene Ikea-Wandbild

Hannes Schrader ist wütend. Wütend auf Kürbissuppe. Und diese Wut hat er bei Zeit Online in eine wunderbare Glosse umgewandelt, die den populären Herbstklassiker und seine feste Verankerung im studentischen Milieu brutal zerreisst. Man muss die Kürbissuppe selbst nicht hassen, um mit diesem Text Spaß zu haben, aber es hilft vermutlich.

Die Kürbissuppe ist das suppengewordene Ikea-Wandbild. Sie ist die Times New Roman der Amateurküche, eine Ausrede in Form eines Abendessens. Sie tröstet nicht bei Erkältung wie eine fette Hühnerbrühe und ist kein Freund wie ein samtiger Kartoffeleintopf. Sie ist nicht für einen da, wenn man Liebeskummer hat. Sie ist das Bananenbrot der Hauptgerichte.

In den Kommentaren tobt derweil der selbstgerechte Mob der völlig ironiefreien.

Wenn die Generation Y keine weiteren Probleme hat… Bei uns wird es weiterhin Kochabende mit Kürbissuppe geben – weil sie einfach schmeckt.

Dass man über Geschmack nicht streiten könne (ist das wirklich so?), schreibt auch Schrader in seiner Glosse, dreht daraus aber eine schöne Volte für den Kampf um den guten Geschmack:

Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber für guten Geschmack lohnt es sich, zu kämpfen. Denn durch die AfD mag in Deutschland der Diskurs verrohen – aber durch Kürbissuppe verroht die deutsche Esskultur.

Schraders Text ist für das kulinarische Feuilleton was Peter Handkes Publikumsbeschimpfung für die Bühne war. Er hält dem selbstzufriedenen Besseresser den gröbsten, und fiesesten Zerrspiegel vor, den er finden konnte. Der spiegelt zwar die Realität wieder, verzerrt sie aber wie eine Korrektur. Das kann man übelnehmen, man kann aber auch herzlich drüber lachen. Ich rate zu letzterem.

(Foto: Timo Klostermeier  / pixelio.de)

Keep Kohl

Wer eine Biokiste bezieht, kennt das Problem. Im Sommer und Herbst ist alles fein und dandy, aber dann kommt der Winter und plötzlich gibt es nur noch Kohl. Kohl in allen Variationen. Kohl ist gesund, aber ungeliebt. Deshalb heute, auf der Höhe der Kohlzeit, mal was ungewöhnliches, ich teile einfach ein Rezept. Denn Peter Wagner hat bei spon eine tolle Herbst Bowl mit gedünstetem Rosenkohl vorgestellt. Guten Appetit. Im Winter Kohl essen ist gut für den Körper, den Planeten und die Kommunikation mit Außerirdischen. Esst mehr Kohl!

 

Ich ess Blumen…

…denn Tiere tun mir leid? Nein, hier geht es weder um die Ärzte noch deren Song über anstrengende Vegetarier von 1988. Hier geht es um traditionelle, italienische Landküche. Die kann nämlich viel mehr außer Pizza und Pasta. Vittoria Traverso hat bei Gastro Obscura einen wundervollen Text über Elena Rosa geschrieben, die die vergessene Kunst des Kochens mit Blumen zurück nach Italien bringt und dafür sogar einen alten Dialekt lernen musste.

PICKING, COOKING, AND EATING FLOWERS and wild herbs was once a common practice across rural Italy. From Naples’ sciurilli (deep fried courgette flowers) to Veneto’s frittelle di fiori de gazia (acacia flowers doughnuts), most regions have a dish whose key ingredient is flowers. But after World War II, industrialization and urbanization led to the abandonment of this ancient tradition.

Im Grunde ist es mal wieder eine Slow-Food-Geschichte. Die Industrialisierung setzt Standards auf weiter Fläche durch und verdrängt gleichermaßen Hunger, Unterernährung und regionale Sonderwege – einer dieser Effekte ist doof.

Italy’s post-war industrialization affected farming practices, too. Many farmers switched to lucrative monocrops to meet market demand. In the span of a generation, traditional folk knowledge of wild plants was lost. The only keepers of such ancient notions are elderly people living in rural areas.

Am interessantesten ist wohl ein Absatz über die unterschiedlichen Aromen und Inhaltsstoffe verschiedener Blumen:

She now grows roughly 200 different seeds, ranging from rare vegetables to wild plants and flowers including nasturtium, cornflower, and dahlias. “I have learned that flowers are very nutritious and can be used for a vast range of recipes,” Rosa says. “Take bright-orange Nasturtium flowers. They are rich with Vitamin C and each of their components can be [used in different food preparations].” Nasturtium seeds, for example, can be ground to make pepper, blossoms marinated to make vinegar, and petals eaten raw or sautéed with butter. The velvety white leaves of begonia semperflorens are particularly interesting: They taste just like citrus fruit and can be used to season seafood dishes instead of lemon.

(Drollige Beobachtung am Rand. Es ist schön, wenn Dinge übersetzt werden, aber die folgenden beiden Übersetzungen scheinen mir doch sehr offensichtlich:

Tozzetti’s 1767 treaty titled De alimenti urgentia, which literally means “Of urgent aliments,”

und

Elena Rosa, whose last name literally means “Rose,”

aber sicher ist sicher)

(Foto: Photo by James Wainscoat on Unsplash)

Besser als vergorene Stutenmilch?

Dirk Gieselmann hat im Magazin der Süddeutschen Zeitung eine wundervolle Ode auf das türkische Nationalgetränk Ayran geschrieben. Darin kann man nicht nur erfahren, wie das Getränk am besten bereitet, serviert und genossen wird, sondern auch, welchen politischen Status das Getränk heute in der Türkei hat. Als Nationalgetränk genießt es nämlich besonderen Schutz. Da versteht der türkische Richter keinen Spaß. Ein frecher Eistee-Hersteller musste rund 70 000 Euro Strafe zahlen, weil er das Getränk in einer Werbekampagne schlecht aussehen ließ. Zum Glück hat Jan Böhmermann noch kein Gedicht über Ayran geschrieben. Und was hat das alles mit vergorener Stutenmilch zu tun? Lesen Sie den Text.

(Foto: tomislav medak CC-BY auf flickr)

Dauerbrenner

Auf reddit wird aktuell mal wieder das Perpetual Stew diskutiert. Dabei handelt es sich um eine Art Eintopf, die besonders in mittelalterlichen Küchen wohl eine wichtige Rolle gespielt hat. Dieser Eintopf kocht nicht nur ein paar Stunden oder Tage, sondern Monate bis Jahre. Dabei wird von dem Koch immer nur so viel aufgefüllt, wie zur Mahlzeit entnommen wurde. Einzelne Zutaten köcheln dann also für Monate vor sich her. Gesundheitsschädlich soll es nicht sein, denn der Kram kocht ja pausenlos, dafür sehr aromatisch, denn der Kram kocht ja pausenlos.

Das redditblog hat 2015 schon einmal länger über das Phänomen geschrieben. Dort wird auch auf die chinesische lo verwiesen, eine Brühe, die teilweise seit Jahren ein- und ausgekocht wird. Besonders für Kochfaule eine gar nicht so unattraktive Option, um nicht zu verhungern, aber auch der New Yorker Koch David Santos hat das Konzept in seiner Küche verwendet.

My best friend had a crock pot of perpetual chilli, in college, that went all winter. We didn’t die.

(Foto: Kantabrischer Hochland-Eintopf/ Uhanu/Wikimedia Commons)