Vom Aussterben der Dorfkneipen

Über 60 Prozent Schwund in gerade Mal 15 Jahren. Die Zahlen der DeHoGa-Hessen, die die Welt zitiert, klingen besorgniserregend. In den hessischen Provinzen gibt es ein massives Aussterben der Dorf-Gasthäuser. Das Problem scheint ähnlich gelagert wie bei Bauernhöfen: Wenn die Betreiber zu alt werden, finden sie keinen, der die Nachfolge antreten möchte. Weil die jungen Menschen aus der Provinz fliehen, werden die Kneipen aber doppelt getroffen, denn ihnen rennt nicht nur das Personal davon, sondern auch die Kundschaft. Trotzdem ist die Entwicklung auch für Städter traurig, ist das unmittelbare Umland doch ein oft unterschätzter Schatz zur Naherholung.

Mittlerweile schätzt der Verband die Zahl der Betriebe auf nur noch etwa 1100. Zwei Jahre zuvor seien es noch rund 1800 gewesen. Und im Jahr 2002 waren es nach statistischen Angaben noch knapp 3000 Betriebe. Laut Prognosen der Fachleute wird die Zahl noch weiter sinken.

Dabei scheinen es auch die Kneipen in dichter besiedelten Räumen immer schwerer zu haben. Der WDR hat eine Karte über das Verschwinden der Eckkneipen in NRW und selbst in der Hauptstadt diagnostiziert Fabian Federl im Tagesspiegel eine Kneipenkrise.

(Foto: CC-BY-ND dmytrok)

Das M glänzt wieder golden

Irgendwie ja auch passend zum Tode Bocuses: Nachdem man zwischendurch dachte, Fast Food sei bei der nachwachsenden Generation Out, freut man sich bei McDonalds dieser Tage wieder über schwarze Zahlen und satte Gewinne. So schreibt Thomas Klemm für die FAZ, wohlgemerkt im Finanzteil und nicht im Feuilleton:

Der Konzern hat sich dem Zeitgeist halb angepasst, halb widersetzt und damit vollen Erfolg gehabt. So ist McDonald’s ein Comeback gelungen, das dem Unternehmen kaum jemand zugetraut hätte. Nachdem es noch vor drei Jahren so aussah, als ob billige Burger und fettige Fritten dem Trend zur bewussten Ernährung nicht standhalten können, stellt sich die Lage heute anders dar: Die Nachfrage nach einer Mahlzeit, die schnell und günstig zu haben ist, bleibt hoch und steigt sogar vielerorts.

Spannend zu dem Thema ist vielleicht noch diese Bloomberg-Analyse, die argumentiert, steigende Lebensmittelpreise seien für McDonalds eine gute Entwicklung, weil so das Selberkochen in Relation zum Fast Food unattraktiver wird – wie sympathisch.

(Bild: CC BY-NC-ND 2.0 Tasha Metamorfosis)

Neonröhren als Zukunft der Landwirtschaft

London – Der Ausflug ins Grüne führt an einem faustdicken Stahlkabel 33 Meter in die Tiefe. Langsam ruckelt die Kabine abwärts, lässt den hektischen Großstadtdschungel mit seinen Betonfassaden und Fastfood-Geschäften in Westlondon hinter sich zurück. Es ist eine Reise in die Vergangenheit der Stadt – und zugleich in die Zukunft der Agrarwirtschaft.

Genau aus jener unglaublichen Zukunft der Agrar-Wirtschaft berichtet die kurze Reportage von Fabian Wegener im Standard. Er berichtet von einem Start Up, welches in unterirdischen Bunkern aromatische Gemüse und Kräuter züchtet. Er zeigt eine Szenerie, die an Breaking Bad erinnert und gleichzeitig völlig aufgeladen ist mit utopischen Hoffnungen. Er erzählt von einer komplett neuen Art, Landwirtschaft in urbanen Zentren zu denken und er zeigt ein weiteres Zukunftsprojekt, welches durch den Brexit bedroht ist.

Über die futurologische Relevanz des Vertical Farmings berichtete auch diese kurze ARTE-Doku:

https://www.youtube.com/watch?v=XV0_f70ul0Q

Die Gemüsefabrik produziert täglich zwischen 1000 und 1300 Salatköpfe.

(Bild: CC BY 2.0 Paolo Marco Ripamonti)

 

Das Comeback des Kaviar

„Grund zur Freude für Liebhaber, denn heute ist anständige Qualität schon ab 800 Euro pro Kilo zu bekommen, ein historischer Tiefstand.“ In der Süddeutschen Zeitung hat Patricia Bröhm ein schönes Stück über das Comeback des Kaviars geschrieben. Dabei zieht sie von Kulinarik („schmelzig-aromatisch am Gaumen zerplatzend“) bis Ökonomie („für 2018 rechnet die Branche mit einem Angebot von etwa 400 Tonnen, vor zehn Jahren waren es gerade mal 80 bis 120 Tonnen“) sämtliche Register. Russland ist heute wohl out, wichtigster Produzent der hochgeschätzten Stör-Eier scheint, wer auch sonst, China zu werden. Dabei müssten es nicht immer zwingend Eier vom Stör sein. Bröhm stellt in ihrem Text auch gute Alternativen vor.

Vor einigen Jahren musste man noch mühsam auf reddit diskutieren, ob Kaviar eigentlich wirklich gut schmecke, oder ob er nur aufgrund des hohen Preises so populär sei. Gott sei dank kann man das jetzt einfach selbst testen.

(Bild: CC BY 2.0 Annie Roi)

Rettet die Gastronomie den Einzelhandel?

Von spannenden Entwicklungen weiß Michael Gassmann in der Welt zu berichten. Im Kampf gegen Amazon und Co scheint die Gastronomie in Shopping-Arealen eine ganz neue Wertigkeit zu bekommen. Da der Einzelhandel mit der Online-Konkurrenz immer schlechter konkurrieren kann, braucht es neue Argumente, um die lauffaule Kundschaft in die Einkaufszentren zu bekommen. Der Verweis auf den Pionier aus Schweden verrät aber auch gleich, dass damit keine gastronomische Qualitätsinitiative zu erwarten ist, eher die flächendeckende Versorgung mit akzeptablem Angebot zu ökonomischen Preisen – und das ist ja auch nicht schlimm.

Während Ikea die Kunden schon immer mit Köttbullar und Gratiskaffee bei Laune gehalten hat und dafür von manchen belächelt wurde, rollt die Gastro-Welle jetzt auf breiter Front im Einzelhandel an. Gastronomie könnte der Schlüssel zur Problemlösung für eine Branche werden, die in Zeiten des Online-Booms verzweifelt nach Möglichkeiten sucht, ihre viel zu großen Verkaufsflächen sinnvoll und profitabel zu nutzen.

Weil große gesellschaftliche Trends oft ja doch langsamer verlaufen, als man glaubt: Die Wurzeln der Food Courts in Shopping Malls liegen in den frühen Siebziger Jahren. Damals ging es in Kanada und den USA los. Ikea hat mit den Köttbullar, laut Unternehmenswebsite, sogar schon in den 50er Jahren angefangen. Und auch die Welt hatte schon früher über das Thema berichtet. god aptit!

(Foto: CC BY 2.0 Gaulsstin)

Instant Pot – Der amerikanische Thermomix?

Bestimmt kennen Sie, werte Leserin, werter Leser, auch ein paar von diesen Menschen, die nicht nur die Dreistigkeit besitzen, sich eine Küchenmaschine für tausend Euro zu kaufen, sondern seitdem von nichts anderem mehr reden möchten. Der Thermomix-Rausch greift um sich. In den USA scheint es grade einen ähnlichen Hype um einen Schnellkochtopf zu geben, den Instant Pot. Kevin Roose nimmt uns in der New York Times mit auf seine Reise zu den Wurzeln des Trendgerätes.

Truth be told, the headquarters of Instant Pot don’t look much like a church. But inside this sterile, gray office building on the outskirts of Ottawa, behind a door marked only by a small metal sign, a new religion has been born. Its deity is the Instant Pot, a line of electric multicookers that has become an internet phenomenon and inspired a legion of passionate foodies and home cooks. These devotees — they call themselves “Potheads” — use their Instant Pots for virtually every kitchen task imaginable.

(Bild: CC BY 2.0 goblinbox_(queen_of_ad_hoc_bento))

Hauptkampftage

„Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage“ lautete eine Kampagne der Evangelischen Kirche zur Jahrtausendwende. Beim Thema Sonntagschutz sind sich Gewerkschaften und Kirchen traditionell einig: Hier soll nicht gearbeitet werden. Ein Tag die Woche soll für Freizeit und Familie, Entspannung und Erholung reserviert sein. In der Gastronomie kann man über solche Initiativen nur müde Lächeln. Dort heißen Sonn- und Feiertage „Hauptkampftage“. Denn wenn die Mehrheit sich erholt, muss eine Minderheit für sie kellnern und kochen – und das nicht selten für mäßige Bezahlung. Wie die AHGZ jetzt berichtet, ist dieser Anteil am wachsen:

So arbeiteten im Jahr 2016 immerhin 15 Prozent der Erwerbstätigen hierzulande regelmäßig an Sonn- oder Feiertagen. Und dieser Anteil sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen: 1996 hatten nur 11 Prozent der erwerbstätigen regelmäßig an Sonn- und Feiertagen gearbeitet.

Die gesetzlichen Regelungen rund um die Arbeit am Sonntag sind relativ kompliziert. Da die Gastronomie von sehr kleinen Betriebsgrößen dominiert wird, in der Betriebsräte und andere Kontrollinstanzen selten sind, muss man wohl davon ausgehen, dass solche Regeln öfter gebrochen als eingehalten werden. Wo kein Kläger, da kein Richter. Das muss nicht mal mit dem gemeinen Chef zu tun haben. Bei vielen Unternehmen ist die Personaldecke so dünn, dass es grade der Chef ist, der jeden Sonntag hinter der Theke steht. Er hat keinen Vorgesetzten, demgegenüber er sein Recht einfordern könnte und gleichzeitig kein Personal, dass ihn regelgemäß vertreten kann. Eine Außnahme ist häufig der Sternebereich. Der schafft an Werktagen so viel Umsatz, dass viele Restaurants mit Sternchen ihren Ruhetag tatsächlich auf dem Sonntag liegen haben. Das ist doch mal ein Ansporn, an der Qualität zu schrauben.

(Bild: EKD)

„Ein Münchner in Kemerowo würde sich wie zuhause fühlen“

Da Weihnachten ja neben gutem Essen und viel Alkohol vor allem Stress bedeutet, heute nur ein kurzer Text. Aus München. Oder aus Westsibirien. Denn dort gibt es jetzt auch ein Hofbräuhaus und weil die Hofbräu tatsächlich dem Bayerischen Finanzministerium gehört, ist das wohl irgendwie auch ein Abschiedsgeschenk des scheidenden Finanzministers Markus Söder an das globale Bayerntum, bevor er sein Amt als Ministerpräsident antritt. Sollte der bayerische Staatschef sich in Zukunft mal mit dem russischen Staatschef austauschen müssen, gibt es dafür ja jetzt den perfekten Treffpunkt.

Der Satz in der Überschrift, mit dem Münchner in Kemerowo, den soll übrigens auch der scheidende Heimatminister und werdende Ministerpräsident Söder gesagt haben. Welche besondere Bedeutung Essen aus der Heimat für jene hat, die ihre Heimat verloren haben, zeigt dieser spannende Text von Vice aus einem türkischen Flüchtlingslager.

(Bild: CC BY-SA 2.0 Roger W)

„Hier zeigt das Glyphosat die ganze Bandbreite seiner zahlreichen Aromaeffekte“

Die Titanic-Redaktion hat unter dem Namen von Kulinarik-Papst Jürgen Dollase als Reaktion auf die allgemeine Glyphosat-Panik eine drollige Gastrokritik des Pflanzengiftes geschrieben.* Wer sich tatsächlich darüber informieren möchte, wie gefährlich der Stoff nun für Menschen ist, dem sei dieser sehr faire Artikel von Jakob Vicari aus dem Greenpeace-Magazin empfohlen. Der Artikel klärt nicht nur darüber auf, welche alarmistischen Studien eher unseriös sind, sondern kommt auch auf die eher problematischen Seiten eines Glyphosat-Verbotes zu sprechen:

Wie viele Experten befürchtet auch er [Matthias Kästner, Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig], dass Alternativen tendenziell sogar gefährlicher sind. Glyphosat ist immerhin biologisch abbaubar.

Immerhin, wer privat aus dem Glyphosat aussteigen möchte, für den kennt das Greenpeace-Magazin eine einfache, aber nicht ganz günstige, Option:

Eine Alternative gibt es längst: Die biologische Landwirtschaft mit ihren mechanischen Ansätzen zur Unkrautbeseitigung und der intelligenten Fruchtfolge gilt weithin als bester Ausweg aus der Glyphosat-Spirale. Klare Empfehlung: Wer Glyphosat und andere Pestizide so gut es geht vermeiden will, sollte zu Bioprodukten greifen. Die baden-württembergische Lebensmittelüberwachung fand 2015 in Obst und Gemüse aus biologischem Anbau hundertmal weniger Rückstände als in konventionell gewachsenen Früchten.

Ob die moderne Landwirtschaft komplett ohne Pestizide denkbar ist, daran hat zumindest Lars Fischer bei Spektrum erhebliche Zweifel.

*Als regelmäßiger Dollase- und Titanic-Leser muss ich mir die Bemerkung erlauben, dass es schon treffendere Parodien gegeben hatte. Einzelne Sätze wie „Das dazu gereichte, ebenfalls glyphosathaltige Pilsner aus der Radeberger Brauerei schafft mit seinen flüssigen Bitternuancen einen sensorischen Ausgleich zum knackigen Gemüse“ sind fabelhaft getroffen, insgesamt verliert der Text sich aber zwischen den beiden Missionen, sich sowohl über Dollase lustig zu machen, als auch ernsthaft über Glyphosat zu empören.

(Bild: CC BY-ND 2.0 StevanBaird)