Dauerbrenner

Auf reddit wird aktuell mal wieder das Perpetual Stew diskutiert. Dabei handelt es sich um eine Art Eintopf, die besonders in mittelalterlichen Küchen wohl eine wichtige Rolle gespielt hat. Dieser Eintopf kocht nicht nur ein paar Stunden oder Tage, sondern Monate bis Jahre. Dabei wird von dem Koch immer nur so viel aufgefüllt, wie zur Mahlzeit entnommen wurde. Einzelne Zutaten köcheln dann also für Monate vor sich her. Gesundheitsschädlich soll es nicht sein, denn der Kram kocht ja pausenlos, dafür sehr aromatisch, denn der Kram kocht ja pausenlos.

Das redditblog hat 2015 schon einmal länger über das Phänomen geschrieben. Dort wird auch auf die chinesische lo verwiesen, eine Brühe, die teilweise seit Jahren ein- und ausgekocht wird. Besonders für Kochfaule eine gar nicht so unattraktive Option, um nicht zu verhungern, aber auch der New Yorker Koch David Santos hat das Konzept in seiner Küche verwendet.

My best friend had a crock pot of perpetual chilli, in college, that went all winter. We didn’t die.

(Foto: Kantabrischer Hochland-Eintopf/ Uhanu/Wikimedia Commons)

Geister grüßen aus der Testküche

Wer kennt ihn nicht, den romantischen Traum von der eigenen Gastronomie, dem eigenen Café oder der eigenen Kneipe, von und in denen man dann bis zum Tud gemütlich und schmackhaft mit lieben Gästen leben kann. Demgegenüber steht die harte Arbeitsrealität in Küchen, die kommerziell funktionieren müssen bei steigenden Mieten und einem harten Preiswettkampf. Das sind wohl die Zutaten, warum eine besondere Gattung Restaurants immer populärer wird: Die Testküchen, in denen Möchtegern-Gastronomen auf Zeit ihr Konzept, den Beruf und den Druck einmal testen können.

Das Laden Ein in Köln hatten wir an dieser Stelle bereits erwähnt. Unter dem Namen Guck Mal Wer Da Kocht gibt es in Frankfurt jetzt ein ganz ähnliches Konzept. Jetzt kommt aus Köln der nächste Innovationsschub: Ein Restaurant mit vielen Köchen und ohne Gäste. Das Bongour kombiniert die Idee der Ghost Kitchen, das ist ein Restaurant, welches seine Speisen exklusiv über Lieferdienste wie Foodora und Deliveroo vertreibt, mit dem eigenen Restaurant auf Zeit. Stefan Chmielewski stellt das Geistergasthaus in der Süddeutschen Zeitung genauer vor:

„Gastro-Hub“ nennen die Gründer von Bongour ihr Konzept, das man sich wie eine Mischung aus Testküche, Pop-up-Lokal und Lieferdienst vorstellen muss. Am Herd stehen eine Handvoll Köche – Profis, aber auch Amateure -, die hier für eine jeweils individuell vereinbarte Zeit ausprobieren, ob sie für die Selbständigkeit fit sind. Das Risiko ist überschaubar: Bongour stellt die Küche, übernimmt das Marketing und Coaching. Im Gegenzug erhält das Start-up einen „deutlichen Anteil“ vom Umsatz der verkauften Bestellungen. Haben die Köche mit ihren Gerichten keinen Erfolg, entstehen ihnen keine Kosten.

(Bild: Steinar Engeland on Unsplash)

Das Noma ist jetzt ganz offiziell bei den Anarchisten

Lange war es still um das beste Restaurant der Welt. Jetzt hat René Redzepi das Restaurant neu eröffnet und schon die Wahl des Ortes soll wohl als Statement verstanden werden. Das Noma eröffnet nämlich nicht einfach wieder in Kopenhagen, sondern in der berühmten Freistadt Christiania, dem berüchtigtesten Stadtteil der dänischen Hauptstadt mit eigenen Gesetzen. Diese ist eine Mischung aus Hippie-Utopie, Kiffer-Paradies und libertärer Modellstadt.

Dabei ist zu vermuten, dass hier ähnlich wie in Kreuzberg oder dem Frankfurter Bahnhofsviertel eine Doppelbewegung stattfindet. Einerseits bekommt das Noma ein bisschen vom verruchten Image des berüchtigten Bezirks ab, andererseits wird dieser Bezirk durch das Spitzenrestaurant ordentlich aufgewertet und verliert ein Stück seines alten, anarchischen Sonderstatuts, wenn jetzt bald wohlhabende Feinschmecker aus aller Welt durch das Kommunenviertel streunern. Man darf gespannt sein, ob der Umzug am Ende nur ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Gentrifizierung mitteleuropäischer Großstädte werden wird. Vielleicht gibt es jetzt aber auch einfach Cannabis-Gerichte auf der Karte.

(Foto: Graffiti in Christiania, CC-BY-ND ChristianeBue)

Amuse-ment

In unserer großen August F. Winkler-Reihe heute mal ein Beispiel, wie niedrigschwellig Winkler stets auch bereit war, sein Wissen unter das Volk zu bringen. Erfahrene Sternefresser dürfen den heutigen Link überspringen, alle anderen erfreuen sich an dieser charmant-gelehrigen Einführung in einen Brauch der gehobenen Gastronomie, der immer weiter um sich greift: Das Amuse-bouche oder auf Deutsch „der Gruß aus der Küche.“

Köche sehen im Amuse–bouche in erster Linie die Chance, den Gast ins Menü einzustimmen, ihm gleichsam eine gastronomische Ouvertüre aufzuspielen. Hinzu kommt, daß sich die meisten dieser „Mundfreuden“, so die direkte Übersetzung aus dem französischen Amuse-bouche (Amuse-gueule steht für das derbere „Maulfreude“), weil in der Regel kalt serviert, gut vorbereiten lassen, so daß die Küche wertvolle Zeit gewinnt für die Komposition des eigentlichen Menüs – und der erste Appetit des hungrig auftretenden Gastes wird dadurch gleichermaßen elegant wie geschmackvoll besänftigt.

(Foto: Eine Amuse-Bouche-Auswahl aus dem Drei-Sterne-Restaurant Quince in San Francisco, CC-BY City Foodsters)

Bedroht die Hummuskrise unsere geistige Gesundheit?

Der Anlass ist traurig und doch macht Galgenhumor den Horror vielleicht irgendwie erträglicher. Mal wieder hat ein Mann mit zu vielen Schusswaffen unschuldige Kinder getötet. Mal wieder wurde eine Schule in den USA zum Schauplatz eines Massakers. Siebzehn Lehrer und Schüler wurden ermordet, hunderte traumatisiert und die halbe Welt muss trauern.Rechtskonservative Medien wie Fox News versuchen nun, die Diskussion weg von den politischen Rahmenbedingungen zu lenken, die solche Taten ermöglichen. Wie so oft zuvor betont der Sender nun wieder, dass der Täter ja selbst Opfer psychischer Probleme sei. Der Subtext für die NRA-Community ist klar: Nicht die kaum regulierten Schusswaffen töten, sondern kranke Menschen. Eine Argumentation, die bei islamistischen Terroristen deutlich seltener benutzt wird. Das inspirierte den palästinensischen Aktivisten Yousef Munayyer zu folgendem Gedankenspiel:

Wäre da etwas dran, müssten wir nun mit einer weiteren Gewaltexplosion rechnen, denn Spiegel Online titelt „Kichererbsen Krise“ und berichtet von steigenden Hummus-Preisen. Aber natürlich ist das alles nur zynische Blödelei, mit der wir versuchen, dass zu verarbeiten, was niemand verarbeiten kann.

(Foto: CC-BY-SA Eli Duke)

Duell der Lieferdienste

Deutschland ist einer der am härtesten umkämpften Märkte weltweit für Lieferservices, die Pizza, Nudeln und andere Gerichte nach Hause liefern. Es ist ein Geschäft mit sehr geringen Margen, an einer Bestellung verdienen die Firmen nur ein paar Euro. Lukrativ kann dieses Geschäft also nur für denjenigen werden, der sehr viele Bestellungen bei möglichst geringen Kosten ausliefert.

Ganz so dramatisch wie in dem Sketch von Gute Arbeit Originals geht das Duell unter den deutschen Essenslieferdiensten wohl nicht zu, aber was Sophie Burfeind in der SZ schreibt, ist trotzdem spannend. Schöne Volte zum Schluss: Der größte Konkurrent für Online-Lieferdienste ist ein unerwarteter, alter Bekannter.

Der wahre Alfredo – Kaiser der Nudeln

Auf den Speisekarten deutscher Italiener findet man sie selten und auch in Italien werden sie gar nicht so häufig serviert, doch viele Amerikaner halten sie für das italienischste Gericht der Welt: Die Fettucine Alfredo. Das sind dicke Bandnudeln mit Butter und Käse. Hans-Jürgen Schlamp hat bei Spiegel Online die transatlantische Geschichte des fetten Gerichtes unterhaltsam niedergeschrieben. Bereits in der dritten Generation gibt es einen erbitterten Konflikt zwischen den Erben des wahren Alfredo und denen, die sein ursprüngliches Restaurant gekauft hatten. Der Legende nach begann alles mit einem medizinischen Notfall:

Alfredo Di Lelio, Wirt und Koch eines kleinen Gasthauses in Rom, wollte dabei eigentlich nur seine Frau retten. Die hatte nach der Geburt ihres Sohnes keinen Appetit, kränkelte, magerte ab, verfiel – bis Alfredo ihr die kalorienreichen Nudeln vorsetzte. Sie gedieh prächtig, das Rezept kam auf die Speisekarte und die sagenhafte Geschichte konnte beginnen.

(Foto: CC-BY-ND Meal Makeover Moms)

Wie die Muslime den Schnaps erfanden

Alkohol in irgendeiner Form scheint die Menschheit seit Adam und Eva zu trinken. Die Wikipedia verweist auf über 4000 Jahre alte Texte, auf denen bereits die Herstellung von Drinks behandelt wird. Angesichts dessen scheint es doch überrascht, dass die Basis der meisten hochprozentigen Getränke, die Destillation, erst im 8. Jahrhundert nach Christus erfunden wurde. Anne Ewbank von Gastro Obscura stellt uns die beiden muslimischen Alchemisten Abu Musa Jabir ibn Hayyan und Muhammad ibn Zakariya al-Razi vor, die das Destillieren, und damit auch den Schnaps erfunden haben. Davon berichtet noch heute das Wort Alkohol – zumindest dem etymologisch geschulten Leser.  Das Wort beginnt nämlich mit einem Al wie in Al Kaida oder Al Dschasira und ist vom arabischen الكحول (al-kuḥūl) abgeleitet.

Before the Islamic Golden Age, people worldwide used crude methods of distillation, such as leaving booze out in the cold and drinking what wouldn’t freeze. And the basic principles of distillation were known by ancient Greek and Egyptian scholars, including Aristotle. But the roots of modern distillation technology began with the semi-mythical Persian alchemist Abu Musa Jabir ibn Hayyan.

Also, beim nächsten Whiskey oder Gin ruhig auch mal dankend gen Morgenland prosten. Heute ist man in der islamischen Welt vielerorts mit dem Alkohol auf Kriegsfuß. Die Türkei verschärfte ihre restriktive Alkoholpolitik zuletzt so weit, dass das Raki-Festival von Adana sich in Kebap-Festival umbenennen musste. Das war nicht immer so in der arabischen Welt, aber oft, wie Ewbank schreibt:

Though liquor was finally easy to obtain, it wasn’t always drunk. Islamic society during the Golden Age swang between outright bans and surprising permissiveness when it came to booze. This phenomenon was epitomized by the lifestyle of the famous poet (and mathematician) Omar Khayyam, who rhapsodized about “a jug of wine, a loaf of bread, and thou.” But the alcohol derived from distillation was often put to work: as lamp fuel and as antiseptic.

(Bild: Photo by Wine Dharma on Unsplash)

Typisch deutsche Sterneküche

Die deutsche Küche war lange Zeit ein Ödland, welches niemand zu beackern wagte, der ernsthaft Gastronomie betreiben wollte. Unter solchen Schlagwörtern wie Nova Regio oder Neue Deutsche Küche findet langsam eine Wiederentdeckung traditioneller Gerichte und Zubereitungstechniken aus früherer Zeit statt. Doch auch in den Jahrzehnten der Missachtung teutonischer Traditionen haben sich wiederum ganz neue, deutsche Eigenheiten herausgebildet. Julien Walther nimmt seine jüngste Kritik von Nils Henkels neuem Restaurant auf Burg Schwarzenstein zum Anlass, etwas über diese spezielle deutsche Sterneküche zu sinnieren.

Die deutsche Spitzenküche glänzt regelmäßig ‒ und auch hier ‒ mit präzisem Handwerk. Dieses Können stellt man gerne visuell zur Schau, wobei es hierbei nicht selten vorkommt, dass Attribute wie herausragende Produkte, Authentizität, Schlichtheit und Harmonie in den Hintergrund rücken. Ein objektiv hervorragendes Essen muss diese Attribute natürlich nicht alle als Leitmotiv haben, doch wenn auf viele davon verzichtet wird, müssen weitere Dinge wie Innovation oder Geschmacksbilder umso überragender sein.

Zumindest in einem anderne Punkt, einem bieder gediegenen Einrichtungsstil, den Walther als „sachliche Eleganz“ in zahlreichen Grautönen beschreibt, erntet er in den Kommentaren jedoch direkt Widerspruch. Dieser sei auch außerhalb der BRD-Grenzen nicht unpopulär, kommentiert ein User mit dem Namen Philipp:

Das Interieur ist keine rein deutsche Sache. Ich habe beim Foto direkt an folgende drei Restaurants gedacht (bei viel mehr als 5 Dreisternern war ich noch nicht zu Besuch, also kann es noch viel mehr sein): Vendôme, Pre Catelan Paris, Alain Ducasse at the Dorchester. Das auf eine Nationalität zu begrenzen trifft die Sache nicht ganz.

So ist es wohl wie so oft mit Dingen, die man gern als typisch Deutsch, typisch Französisch oder typisch Japanisch bezeichnen möchte: Tendentiell mag man da einer spannenden Wahrheit auf der Spur sein, aber irgendwelche blöden Ausnahmen stellen die neu entdeckte Regel immer zumindest in kleinen Teilen in Frage und rauben den Spaß am Entwerfen großer Theorien. Das ging auch Goethe schon so:

Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen, aber von Originalität, Erfindung, Charakter, Einheit und Ausführung eines Kunstwerks haben sie nicht den mindesten Begriff. Das heißt mit einem Worte: Sie haben keinen Geschmack.

(Bild: CC-BY Jörg Schubert)

Jägerschnitzel mit Spirelli, Schweinesteak-Letscho und Goldbroiler

Und noch einmal DDR: Tina Hüttl von der Berliner Zeitung war mit Roland Albrecht zur Gastro-Kritik im Restaurant Volkskammer. „Roland Albrecht war in der DDR etwas, was eigentlich nicht vorgesehen war: ein Gourmet.“ Damit ist er der perfekte Tester für das Restaurant. Denn in der „Volkskammer“, der Name erinnert an das Scheinparlament unter Honecker, hat man sich auf die Küche der DDR samt ihrer einzigartigen und heute oft schon wieder vergessenen Kuriositäten spezialisiert:

Roland Albrecht studiert die Karte: Würzfleisch mit original Dresdner Worcestersauce, Jägerschnitzel mit Spirelli, Schweinesteak-Letscho und natürlich Goldbroiler. Sein Urteil: ziemlich authentisch, auch was Geruch und Interieur angeht. „Nur die vielen Honecker-Portraits sind etwas übertrieben, so dicke aufgetragen war es dann doch nicht.“

Natürlich kann kein Gespräch mit einem Koch enden, ohne dass dieser klagt, dass die Deutschen heute nicht genug Geld für ihr Essen ausgeben. Das ist auch hier so.

(Bild: CC-BY thierry ehrmann)