Deutschland einig Rotweinland

Im Unterschied zum Guide Michelin konnte der Gault Millau Wein-Guide diesen Monat erscheinen. Eine unglaubliche Zahl von 10386 Weinen haben die Tester bewertet, die jetzt vermutlich alle gemeinsam in einer Ausnüchterungszelle sitzen. Bemerkenswert sind die Spitzenwertungen: Ganze sieben Weine haben die Bestwertung von 100 Punkten bekommen – so weit, so gewöhnlich. Was vor einigen Jahren jedoch noch niemand erwartet hätte: Unter den sieben besten Weinen Deutschlands befinden sich gleich drei Rotweine.

„Immer wieder stellt man mir die Frage, ob sich beispielsweise die besten deutschen Spätburgunder wirklich mit den Top-Pinots aus dem Burgund messen können“, so Chefredakteurin Britta Wiegelmann. „Meine Überzeugung ist: ja, absolut. Und zwar gerade, weil es keine Kopien sind. Die Weine, die wir dieses Jahr mit 100 Punkten würdigen, erzählen mit atemberaubender Präzision, Finesse, Harmonie und Emotion von ihrem einmaligen deutschen Terroir. Sie sind unvergleichlich – und reihen sich genau deshalb gleichberechtigt unter die größten Gewächse der Welt ein.“

Winzer und patriotische Weintrinker mag das freuen. Der Hintergrund ist aber leider ein ernster: Es ist der Klimawandel, der Deutschlands Weine allgemein immer besser macht und die heimischen Hänge rotweintauglich macht. Also, fröhlich anstoßen, angenehm genießen und dann müssten wir uns eigentlich gemeinsam Gedanken machen, wie wir solche Ernten in Zukunft verhindern können. Zum Beispiel, indem wir statt italienischem und französischem Rotwein jetzt mehr deutschen Rotwein trinken. Zumindest, so lange wir uns in Deutschland befinden. Dann muss der heimische Rote nämlich weniger weit transportiert werden als seine Konkurrenten aus Bordeaux und Piemont und ist damit besser für das Klima. Es bleibt kompliziert.

(Für die Rettich-Bauern im Spreewald ist der heiße Sommer übrigens deutlich unangenehmer. Trockenheit macht den Rettich mild.)

(Foto: Kelsey Knight on Unsplash)

Bio-Netzwerke

Letzte Woche lief im Regionalprogramm des Hessischen Rundfunks die sehr gute Dokumentation „Alles Bio“ von Bettina Schrauf aus der Reihe „Erlebnis Hessen.“ Die ist auch für Nicht-Hessen interessant, weil sie exemplarisch ein Netzwerk vorführt, in dem Bio-Landwirtschaft und Bio-Gastronomie gelingen kann. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht das Weissenstein, ein Mix aus Bioladen und Restaurant, in dem nur regionale Bio-Zutaten verwendet werden. Das klingt im aktuellen Hype schon fast gar nicht mehr so besonders, aber die Doku zeigt anschaulich, welche komplizierten Lieferwege und Strukturen notwendig sind, damit Bio-Fans in der Stadt und Bio-Bauern auf dem Land zusammen kommen, ohne dass Großhandel, Supermärkte und andere dazwischen funken.

So macht diese Doku nicht nur Appetit auf besseres Essen und Lust auf einen Nordhessen-Urlaub, sondern ist auch eine gute Inspiration, um ähnliche Netzwerke in anderen Regionen hochzuziehen. Denn gerade auf dem immer schwierigeren Bio-Markt gilt weiterhin Rio Reiser: „Allein machen sie dich ein“ und ehe man sich versieht, hat man irgendwelche Freien Wähler in Niederbayern unterstützt.

(Foto: Andreas Hermsdorf  / pixelio.de)

Stillstand bei Michelin?

Es ist November und Feinschmecker wissen, was das bedeutet: Sternezeit. Immer im November erscheint die deutsche Ausgabe des Guide Michelin und damit beginnt auch das aufgeregte Getratsche: Wer ist neu dabei? Wer konnte verteidigen? Und wer muss Sterne abgeben?

Dieses Mal verschiebt sich der traditionelle Sterne-Regen jedoch gehörig. Erst im Februar 2019 soll der Guide diesmal erscheinen. Die offizielle Erklärung spricht von neuen Destinationen. Das ist etwas überraschend, denn die bisherigen Hefte haben ja auch nicht nur die alten Ziele immer wieder vorgestellt und Deutschland hat sich eigentlich nicht sonderlich vergrößert seit 2017. Es gab in letzter Zeit durchaus Kritik an der ein oder anderen Auszeichnung. Manche sprechen schon von einer „Sterne-Inflation“. Vielleicht wird nun ganz allgemein beim Regelwerk nachgebessert? Freuen dürfen sich all jene Restaurants, die 2017 ausgezeichnet wurden, denn ihre Sterne halten nun drei Monate länger. Alle andern dürfen wenigstens gespannt sein, was der Februar bringt. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist der Guide Michelin mit seinen vergleichsweise hohen und transparenten Testmaßstäben immer noch der Leitstern bei der Restaurantbewertung. Ein Blick auf das Elend der Sterne-Bewertungen bei Hotels verrät, wie froh Restaurantbesucher über den Guide Michelin sein können.

(Foto: Quentin Kemmel on Unsplash)

Der Kräutergarten der Deutschen Bank

Anna-Sophia Lang hat für die FAZ einen ganz besonderen Kräutergarten besucht. Mitten in der Frankfurter Innenstadt, auf dem Vordach der Deutschen Bank Zentrale, unterhält der „Head of Executive Catering“ des Bankhauses, Jörg Leroy, einen kleinen Kräutergarten. Das ist nicht nur spannend, weil der Otto-Normal-Leser wohl nie in den Genuss von Leroys Gerichten kommen mag, sondern auch, weil der Vorstandskoch anscheinend sehr intensiv Kräuter in seiner Küche nutzt und dabei auch manch seltenes Kraut wie Yauhtli oder Verbene zum Einsatz bringt. Vielleicht ja eine schöne Inspiration für das heimische Hochbeet, denn zum Nachmachen braucht es gar kein eigenes Hochhaus. Ein sonniges Fleckchen Balkon genügt. Insofern ist die für die FAZ ungewohnt klassenkämpferische Headline „Aromatisches nur für Chefs“ doch nicht ganz korrekt.

Immer dabei in der Küche sind Kräuter. Zum Hirsch macht Leroy gern eine Honigkruste mit Rosmarin. Dieses Jahr gaben zwei große Basilikum-Ernten Stoff für Pesto auf Vorrat, das er immer wieder für verschiedene Gerichte nutzen konnte, und für ein Birnen-Basilikum-Sorbet. Sorbet macht er auch aus der Verbene, die wunderbar nach Zitrone duftet, wenn man ihre Blätter in der Hand zerreibt. Sie macht sich auch gut in einem Sirup, mit dem Leroy zum Beispiel Ragouts aromatisiert. Blüten vom Thymian oder anderen Kräutern lassen sich frittieren oder, wenn sie gar zu zart sind, zur Dekoration nutzen. Der Kräutergarten ist Leroys Herzensprojekt. Dort kann er anpflanzen, was ihm in den Sinn kommt, auch Seltenes wie die Yauhtli oder wie Austernkraut, das er sonst kaum irgendwo bekommt.

(Foto: Michael Ottersbach  / pixelio.de)

Buntes Wurzelgemüse und dramatische Schatten

Nicht ganz zu unrecht gelten Foodblogs als fad: Das Angebot an drögem Mittelmaß ist gigantisch, lesenswerte Highlights erscheinen nur selten. Eines davon ist definitiv Manger von Mimi Thorisson. Wer kein Englisch kann, für den hat Sophia Spillmann beim Feinschmecker auf Deutsch aufgeschrieben, warum Manger so besonders ist. Dabei fällt auch das berühmte Zitat einer Leserin:

Ich bin nicht sicher, ob Mimi Thorisson eine reale Person ist, oder eine Fiktion. Sie ist schön, hat sechs schöne Kinder, einen Mann und zwei Stiefkinder, die ebenfalls schön sind. Ich hasse sie ein bisschen, aber gleichzeitig will ich ihr Leben.“

Ich lese auch des öfteren fasziniert bei Thorisson mit, aber ihr Leben will ich wirklich nicht haben. Ich finde die Fotografien oft sehr finster und bedrückend. Im Subtext wirken sie oft sehr konservativ, das dort gezeigte „einfache Landleben“ scheint gleichzeitig reaktionäres Traumbild, Schimäre für die Kamera und radikaler Ausstieg aus den Verrücktheiten der Postmoderne. Aber die Gerichte klingen großartig, die Texte sind schön geschrieben und man kann sich leicht in Thorissons Landleben verlieren. Wer buntes Wurzelgemüse und dramatische Schatten mag, wird Manger lieben.

(Foto: Brad Stallcup on Unsplash)

Ottolenghi, der Song

Seine Kochbücher sind längst Bibeln für Vegetarier. Das gemeinsam mit Sami Tamimi geschriebene Kochbuch „Jerusalem“ gilt als eines der erfolgreichsten Kochbücher der letzten zehn Jahre, aber ein Lied gab es über Starkoch Yotam Ottolenghi bisher noch nicht. Bisher. Denn nun hat der britische Indie-Lieblings-Rapper Loyle Carner dem Vegetarier-Guru tatsächlich einen Song gewidmet.

Loyle Carner selbst kann übrigens nicht nur flowen, sondern ist auch am Herd aktiv. Der Guardian berichtete 2016 über seine Kochkurse mit Kindern, die unter ADHS leiden – Chili con Carner.

Und wenn wir schon beim großartigen Loyle Carner sind: So klingt es, wenn er eines meiner absoluten Lieblingslieder interpretiert:

https://www.youtube.com/watch?v=3suDRs5HbvU

Köche sind medial die neuen Popstars, aber immer weniger Menschen wollen am Herd arbeiten. Wie geht das zusammen?

…lautet eine von vielen, spannenden Fragen, die Anja Wasserbäch von Mahlzeit.city mit Rach, dem Restaurant-Tester, im Interview besprochen hat. Dabei ging es viel um Zahlen, Unternehmerisches Denken, Selbstausbeutung und eine etwas skurrile Beschimpfung der Jugend, die nach Meinung des berühmten Restaurant-Testers weniger arbeiten und mehr leben wollen. Meiner Meinung nach spricht das ja eher für die Jugend, aber gut. Trotzdem ist der Text sehr lesenswert, weil er eine grundsätzliche Krise der Gastronomie beschreibt, von der man nicht nur des öfteren hört, sondern die auch konkrete Auswirkungen hat.

Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern halb eins. Diese Situation lässt sich ad hoc nicht drehen. Wir brauchen mindestens die nächsten zehn Jahre, um das unternehmerische Denken zu ändern. Wir haben ein Überangebot an Gastronomie – jeder möchte zu jeder Tages- und Nachtzeit essen gehen und das für wenig Geld. Wie bitte soll das funktionieren?

(Foto: by Djim Loic on Unsplash)

Don’t call it a comeback

Dezember 2017 hatte ich das Projekt Tatar und Theorie gestartet. Jeden Tag einen kurzen Verweis auf ein spannendes Thema rund um Gastronomie sollte es geben. Das hatte ich drei Monate eisern durchgehalten und dann von einen auf den andern Tag das Interesse verloren, der Blog verwaiste. Jetzt habe ich wieder Lust und mach mal wieder ein bisschen weiter.

Über Rückmeldung, Lesetipps und andere Rückmeldungen freue ich mich immer.

(Foto: by TK Hammonds on Unsplash)

Baudrillard, Starbucks und der simulierte Kürbis

Der Herbst kommt, oder wie man früher nur in den USA und mittlerweile auch hier sagt: ‚tis the season for Pumpkin Spice Latte. Was das eigentlich genau ist, und warum das Getränk uns dabei helfen kann, den französischen Poststrukturalisten Jean Baudrillard zu verstehen, erklärt dieser schöne Text von Eugene Wolters bei Critical Theory.

So next time you drink your pumpkin spice latte, just remember: nothing is real, and nothing matters. Maybe.

(Bild: CC BY-ND 2.0 Denise Mattox)

Essen für Gewinner

In der Jungle World hat Bernhard Torsch eine unterhaltsame Kulturgeschichte der Sportlernahrung aufgeschrieben und er geht sehr weit zurück, beginnt in der Antike und kommt dann über mittelalterliche Turnierkämpfer zum Schluss auch auf moderne Footballer zu sprechen. Die anekdotische Erzählweise ist sehr unterhaltsam. Man sollte nur nicht allzu große Erkenntnisse über den Status Quo erhoffen.

»Wohl ausgewogen muss die Diät sein«, sagt Druide Miraculix mit erhobenem Zeigefinger im Comic »Asterix bei den Olympischen Spielen« zu seinen Athleten Asterix und Obelix. »Und was ist eine ausgewo­gene Diät, oh Druide?« fragt der verdutzte Obelix. »Das da!« antwortet Miraculix und zeigt auf einen Koben voller Wildschweine. In der Tat finden sich erste Spuren spezieller Ernährungsvarianten für Sportler ­bereits in der griechisch-römischen Antike, wenn auch nicht bei den Galliern, die leider Analphabeten waren. Diogenes, Plinius, Philostrat und andere antike Autoren rieten Athleten dazu, eine Ernährung aus Käse, getrockneten Feigen und Weizenbrei zu sich zu nehmen. Für eine rasche Regeneration empfahlen antike Trainer Honigkuchen. Das Superfood des Altertums dürfte also zumindest außerhalb kleiner gallischer Dörfer weitgehend vegetarisch gewesen sein.

(Foto: Zwei Football-Teams treffen im JFK-Stadium Springfield aufeinander; Riley McCullough on Unsplash)